Der Clipper Cutty Sark ist heute vor 141 Jahren im schottischen Dumbarton vom Stapel gelaufen. Über das berühmte Schiff ist schon alles gesagt worden, lesen Sie doch den Wikipedia Artikel. Eine Geschichte findet sich da aber nicht und das ist meine Cutty Sark Geschichte. Die ist wirklich sehr komisch, und so gönne ich meinen Lesern noch ein Häppchen aus dem work in progess, das Bremensien heißt. Wir springen mal in das Jahr 1972. Der Bundespräsident heißt Gustav Heinemann, und in Kiel findet die erste große Windjammerparade statt.
Und Jay fährt einen kleinen sportlichen NSU Prinz 1000 mit dem Nummernschild HB-AA-**. Mit einem Abarth Auspuff aufgemotzt und den Deckel vom Motorraum mit Gummipuffern hochgestellt. Das machten alle NSU Fahrer so, der luftgekühlte Motor wurde schnell heiß. Na ja, es gab dem Auto auch diesen Sportwagen Touch und Sound (war natürlich verboten). Jeder Prinz 1000 Besitzer war dabei, sein Auto zu einem 1000 TT aufzurüsten, einem der schärfsten Teile auf Deutschlands Strassen. Vorne im Kofferraum sind links und rechts kleine Sandsäckchen plaziert, das gibt ihm eine gute Straßenlage. Und einen Drehzahlmesser hatte ich ihm auch gekauft. Sogar Sicherheitsgurte - ein Sonderangebot vom ADAC - das war schon eine Seltenheit. Der NSU 1000 war damals, in den Augen seiner meist jugendlichen Besitzer, ein Wolf im Schafspelz. Dies sind noch Zeiten für Autofahrer. Das Benzin kostet etwas mehr als 50 Pfennig und die Autobahnen sind noch leer.
An der Heckscheibe klebte ein Sticker mit einem kleinen englischen Fähnchen und dem Slogan Back Britain!. Das sieht man jetzt viel in England, und das muss ein anglomaner Bremer natürlich auch haben. Die Engländer brauchen jetzt jede Hilfe. Eine schöne Frau auf dem Beifahrersitz (die nicht meine Frau wurde) hatte den Prinzen auf den Namen Principessa getauft. Seinen Vorgänger, den etwas schrottigen Prinz 4, in dem wir immer Tucholskys Wenn die Igel in der Abendstunde sangen, hatte sie Cipollina getauft. Ich steige jetzt auf, vom Zwiebelchen zur Prinzessin. Aber als sie im Sommer die Füße auf dem nagelneuen Armaturenbrett hatte (sehr sexy) und anfing, sich die Fußnägel zu lackieren, habe ich einen Augenblick lang überlegt, ob ich sie an der nächsten Autobahnraststätte aussetzen sollte. Männer, Frauen und Autos. Eine gefährliche Sache. Wenn das mit uns beiden auch nichts geworden ist, muss ich aber sagen, wir mögen uns immer noch. Und ich schicke auf diese Art und Weise heute auch einen Geburtstagsgruß an sie nach Mexiko.
Ich habe das Auto namens Principessa deshalb so liebevoll detailliert beschrieben, weil es in meiner heutigen Cutty Sark Geschichte, die jetzt folgt, die Hauptrolle spielt.
Seinen größen Auftritt hat mein champagnerfarbener NSU Jahre später bei der ersten großen Windjammerparade in Kiel, organisiert von der Sail Training Organization, hinter der die Whiskymarke steht, die die Cutty Sark auf dem Etikett hat. Meine Frau hatte für eine Woche eine Job als Übersetzerin, die Firma hat ihr und den anderen Übersetzerinnen sogar ein firmengelbes Kostüm schneidern lassen.
Ich bin mit meinem NSU am Bahnhof, um sie abzuholen, ich habe sie tagelang nicht gesehen. Aber sie kann von der Firmengruppe nicht weg, es gibt offensichtlich ein Problem. Man ist mit dem Zug aus Lübeck gekommen, wo es ein Abendessen mit Kap Horniers und dem Ministerpräsidenten gegeben hat. Und am Morgen ein Frühstück auf dem letzten von Laeisz’ Flying-P-Liners. Und jetzt steht der Rolls Royce nicht am Bahnhof, ist irgendwohin fehldirigiert. Und es gibt, wegen der Windjammerparade auch kein einziges Taxi weit und breit.
Dem Firmenchef und seiner Gattin bleibt jetzt nur noch die Schmach eines öffentlichen Verkehrsmittels. Oder er kann mein freundliches Angebot annehmen, mit einem deutschen Kleinwagen aus Neckarsulm zum Empfang des Bundespräsidenten Gustav Heinemann gebracht zu werden. Der Mann, dessen Firma die ganze Veranstaltung hier bezahlt, wird das Angebot annehmen. Er ist aber die Sorte von steifem Engländer, die nicht einen Funken von Humor haben (der deutsche Regionalvertreter von Cutty Sark wird eine Woche später gefeuert, weil der Rolls nicht am Bahnhof war). Also, ein wirklicher Gentleman hätte jetzt das Komische dieser Situation genossen. Nicht Mr. X, er ist definitely not amused. Er sitzt voller Wut vorne, seine Gattin, die ganz reizend ist, sitzt hinten und hält den Seesack fest, in dem meine ➱Cricketausrüstung ist. Den kann ich nicht vorne im Kofferraum unterbringen, weil da schon einige Kisten Whisky sind, die ich am Freitag an meine Fußballmannschaft verkaufen werde. Nicht von Cutty Sark, sondern von Georgs Schwager, dem Bootsbauer aus Hamburg, der nebenbei mit preiswertem schottischen Whisky handelt.
Ich fahre am Wasser entlang, da wo Kiel im Sonnenschein schön ist. Mr. X ist zu keiner Konversation zu bewegen. Er erwacht lediglich aus seiner stillen Wut, als ich erzähle, dass Kieler glauben, dass die Kürzeln KYC gar nicht für Kieler Yacht Club sondern für Kaiserlichen Yacht Club stehen. Und dass Wilhelm II als Gösch für seine Yacht die englische Kriegsflagge geführt hätte. Ich bin kurz davor, so schöne Zeilen zu zitieren wie: Was steigt denn da am Horizont für’n schwarzer Rauch empor? Das ist des Kaisers Segelyacht, die stolze Meteor, als ich merke, dass wir ein Problem bekommen. Auf den letzten hundert Metern vor der Tirpitzmole ist der Verkehr spärlicher geworden. Hier fahren jetzt nur noch große Limousinen mit Chauffeur, die Bonner Nummernschilder oder Nummernschilder der Landesregierung haben. Oder kleine ovale Schilder für Corps Diplomatique. An der Polizeisperre steht mein kleiner champagnerfarbener NSU zwischen einem schwarzen Rolls Royce und einem schwarzen Mercedes 600.
Ich will jetzt gar nicht erst den Scherz versuchen, dass meine Autonummer mit dem HB-AA auch etwas mit dem Auswärtigen Amt zu tun hat. Ich sage zu dem Polizisten: Sagen Sie jetzt bitte nichts. Der Mann neben mir ist Engländer und versteht kein Wort Deutsch, aber er ist aber derjenige, der das alles hier bezahlt hat. Er ist beim Bundespräsidenten eingeladen. Sein Rolls Royce war nicht am Bahnhof, und es gab kein einziges Taxi mehr. Der Polizeioffizier mustert Mr. X und seine Gattin, die immer noch eisern den Seesack mit der Cricketausrüstung festhält, und sagt dann: Ich habe in meinem Leben schon die seltsamsten Geschichten gehört, aber das hier schlägt alles. Fahr weiter, und wenn Du ihn ausgeladen hast, biste aber gleich wieder weg. Wenn man im sommerlichen Freizeitlook am Steuer einer deutschen Kleinwagens sitzt, hat man offensichtlich keinen Anspruch mehr auf die Anrede Sie. Ich fahre mit einem eleganten Schwung bei dem roten Teppich und der Marineehrenkompanie vor und lasse Herrn und Frau X heraus. Leider kippt der Sack mit der Cricketausrüstung um, und zwei Cricketbälle rollen aus dem Auto auf den roten Teppich. Die muß ich erst aufsammeln, das versaut mir meinen eleganten Abgang. Der nette Londoner Verkaufsdirektor wird in der Nacht mit mir zusammen im Maritim eine Flasche Cutty Sark trinken und mir seinen blauen Firmenschlips mit den kleinen weißen Segelschiffen schenken. Ich habe ihn noch. Kann man nicht mehr umbinden, ist nur zweieinhalb Finger breit und viel zu kurz.
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