So sehr ich das französische Kino liebe, mit Alain Resnais bin ich nie so richtig warm geworden. Dabei hatte ich doch vor einem halben Jahrhundert diese Phase, wo ich alles vom nouveau roman las, was mir in die Hände fiel und für Alain Robbe-Grillet und Michel Butor schwärmte. Der nouveau roman kam damals im Doppelpack mit der nouvelle vague. Der Regisseur Alain Resnais war dem nouveau roman immer näher als der nouvelle vague, er arbeitete eng mit Marguerite Duras und Alain Robbe-Grillet zusammen. Hiroshima Mon Amour und Letztes Jahr in Marienbad lassen einen ja heute noch spüren, dass hier Romanautoren aus der intellektuellen Szene des Rive Gauche das Drehbuch geschrieben haben.
Dies war Kino für Intellektuelle. Man musste damals so tun, dass man das gut fand, weil man ja unbedingt ein Intellektueller sein wollte. Ohne die Franzosen ging das nicht. Man konnte natürlich auch für Eric Rohmer schwärmen, der auch nicht so leicht zu verstehen war und dessen Filme damals kaum in die Kinos kamen. Wenn man seine Filme mehrfach sieht, wächst man in seine Welt hinein. Damals war meine Begeisterung für Ma Nuit chez Maud geheuchelt, heute ist meine Begeisterung für Rohmer echt.
Man konnte sich natürlich die Filme von Resnais aus dem Grund anschauen, weil da auch schöne Frauen drin vorkamen - was nach Truffaut ja das Wichtigste für einen Film ist, Le cinéma c'est l'art de faire de jolies choses à de jolies femmes. Filmregisseure kriegen ja auch immer die schönsten Frauen, Truffaut weiß das. Alain Resnais hat irgendwann Sabine Azéma gekriegt. Doch so nett Filme wie La vie est un roman, L'amour à mort, Smoking / No Smoking oder On connaît la chanson sind, am besten gefällt mir Sabine Azéma in den Tavernier-Filmen Un dimanche à la campagne und La vie et rien d'autre.
Natürlich sind die Filme von Resnais Filmkunst, ich will seine Verdienste nicht kleinreden. Die Inszenierung von Delphine Seyrig auf dem Filmphoto da oben, das ist schon Klasse. Aber irgendwie war es auch wenig zu viel des Guten. Wenn man Filme nicht versteht, sucht man sich das, was man versteht. Da geht es dem Zuschauer nicht anders als dem Romanleser. Spätestens seit Proust wissen wir: in Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst, das gilt auch für den Zuschauer im Film. Ich wollte, ich hätte damals schon dieses Interview mit Resnais gesehen, in dem er uns sagt, dass jeder Zuschauer Letztes Jahr in Marienbad sehen kann, wie er es will.
In dem Maße, in dem mich französische Filme nicht wirklich interessierten, achte ich nur noch auf die Mode und die Autos. Ich habe das wohl schon mehrfach gesagt, über die Mode im Film habe ich eine Menge gesagt, als ich über Waltz into Darkness schrieb. Und über Autos habe ich schon länger ausgelassen, als es hier einen Post zu Fahrstuhl zum Schafott gab (und ebenso als ich über Aimez-Vous Brahms? schrieb). Wenn Sie wissen wollen, in welchem Auto der immer elegante Yves Montand hier in dem Film La Guerre est finie (den Film fand ich damals wirklich hervorragend) sitzt, dann hätte ich hier die ultimative ➱Internetseite. Dies ist der Höhepunkt des nutzlosen Wissens, aber ich finde die Seite ganz toll.
Gut, wenn man sich im Kino seinen eigenen Film im Kopf dreht, funktioniert das nicht immer. Bei so etwas Gräßlichem wie Jean Eustaches' La Maman et la Putain helfen in beinahe vier Stunden auch keine verzweifelten alternativen Sehstrategien. Da hilft nur diese Tür, über der das Wort Notausgang steht. Und wenn man draußen war, dann ärgert man sich, dass man überhaupt gegen besseres Wissen in diesen Film gegangen war. Wo man im Kino vierhundert Meter weiter einen John Wayne Western hätte sehen können! Ja. ich bin ein Banause, ich weiß das.
Ich gebe es ja gerne zu, dass ich mich für das französische Erzählkino, das die nouvelle vague ja unbedingt zerstören wollte, mehr begeistern kann als für diese Dekonstruktion des Films. Wenn ich die Wahl zwischen einem Film von Jean Renoir und einem von Jean-Luc Godard habe, nehme ich den Renoir-Film. Einen Film wie La Vie de Chateau kann ich mir immer wieder ansehen, die Filme von Bertrand Tavernier natürlich auch. Von Truffaut ganz zu schweigen. Über den habe ich ja schon häufig genug geschrieben. Ich möchte auch nicht den Eindruck erwecken, dass ich Alain Resnais nicht für einen großen Regisseur halte. Es wäre albern, das zu leugnen. Aber er ist nun mal kein Filmemacher, für den ich mich de bon coeur begeistern kann. Über Feu Follett von Louis Malle oder Une flamme dans mon cœur von Alain Tanner könnte ich mit Begeisterung an einem Vormittag zehn Seiten schreiben.
Mit Stavisky begab sich Alain Resnais zum ersten Mal in den Bereich des kommerziellen Kinos, er hatte richtige Stars wie Anny Duperey, Charles Boyer und Jean-Paul Belmondo, ein Drehbuch von Jorge Semprun (der auch das Buch zu La guerre es finie geschrieben hatte) und eine Filmmusik von Stephen Sondheim. Und dann noch die wunderbare Kostümwelt der frühen dreißiger Jahre. Wenn Sie den Film in einer wirklich intelligent gemachten Kurzfassung sehen wollen, dann klicken Sie ➱hier.
Dennoch blieb der große Erfolg aus. Vielleicht weil im gleichen Jahr The Great Gatsby in die Kinos kam. Gleiches Thema, gleiche Kostüme - und Lois Chiles sieht aus wie Anny Dupery (das hier mit dem Ausdruck des verschreckten Rehs ist natürlich Anny Dupery). So luxuriös (und symbolisch) diese dem Untergang geweihte dargestellte Welt war (und man könnte natürlich diesen Film bei jeder Bankenkrise mal wieder zeigen), ich bin der Meinung, dass Resnais beim Schwarzweißfilm hätte bleiben sollen.
Bevor es den Regisseur von Spielfilmen Alain Resnais gab, gab es noch einen anderen Resnais. Den Resnais, der Kurzfilme (hier ein Bild aus seinem Van Gogh Film) und Dokumentarfilme drehte. Und der 1955 den Film Nuit et brouillard (Nacht und Nebel) gedreht hat. Ein Film, der eine große Krise für die deutsch-französischen Beziehungen bedeutete, immerhin verlangte die Bonner Bundesregierung, dass der Film für Cannes nicht nominiert werden dürfte. Was ja schon mal eine Unverschämtheit an sich war. Die noch unverschämter wurde, wenn man weiß, was der halbstündige Film zum Thema hatte.
Die französische Regierung kam dem Wunsch der deutschen Regierung gerne nach, sie zensierte sogar ihrerseits den Film. Nuit et brouillard ist ein Dokumentarfilm, ein Film in stillen Bildern, über deutsche Konzentrationslager. Aber Cannes 1955 war das Cannes von Brigitte Bardot und nicht (so die deutsche Bundesregierung) der rechte Ort... um einen Film zu zeigen, der nur allzuleicht dazu beitragen kann, den durch die nationalsozialistischen Verbrechen erzeugten Hass gegen das deutsche Volk in seiner Gesamtheit wieder zu beleben. Die Reaktion von Adenauers Regierung ist sicherlich eine Schande für Deutschland gewesen. Wobei man auch bedenken soll, dass jemand wie Hans Globke gerade Chef des Bundeskanzleramts geworden ist.
Es hat lange gedauert, bis ich Nuit et brouillard gesehen habe (heute kann man das mit einem ➱Klick haben), aber immerhin war der Besuch von Erwin Leisers Mein Kampf vor einem halben Jahrhundert an meiner Schule ein Pflichtprogramm. Ebenso wie der Besuch von Plötzensee. Vielleicht sollte man das mal wieder einführen.
Alain Resnais wird heute neunzig Jahre alt. Das Filmemachen kann er nicht lassen. Das Bild zeigt ihn im letzten Jahr bei den Dreharbeiten von Vous n'avez encore rien vu. Sabine Azéma ist jetzt rothaarig und Pierre Arditi, der seit dreißig Jahren in den Filmen von Resnais mitspielt, sieht inzwischen aus wie Marcello Mastroianni. Nur Alain Resnais sieht aus wie Alain Resnais, man sieht ihm seine 89 Jahre nicht an. Möge es so bleiben. Joyeux anniversaire!
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