Heute [10.11.2010] vor 120 Jahren wurde Carl F.W. Borgward geboren, was wäre Bremen ohne ihn? Er war schon einmal in diesem Blog. Letzte Woche habe ich den tollen großen Borgward Airswing wieder gesehen, den sich mein Freund Keith, der Autonarr, letztes Jahr gekauft hat. Er stand (fett im Halteverbot) auf der Strasse und wurde von vielen Passanten bewundert. Viele photographierten ihm mit ihrem Handy. Ein Stück Bremer Geschichte. Und da habe ich mir gedacht, ich füttere meine Leser noch mit einem kleinen Häppchen, sozusagen einem amuse-gueule, aus meinen Bremensien. Herauskopiert aus einem größeren Kapitel über die Automobile der Nachkriegszeit.
Eigentlich sollten wir ja einen Borgward fahren, Lokalpatrioten in Bremen fahren Borgward. Borgward ist eine success story der Nachkriegszeit, auf die die Bremer stolz sind. Borgward bietet neben Lastkraftwagen unter den Firmennamen Borgward, Lloyd und Goliath eine breite Modellpalette von PKW an. Vom Kleinwagen bis zur repräsentativen Limousine. Vom Leukoplastbomber bis zum P 100 Airswing. Und obgleich Borgward gar keine Sportwagen baut, sind sie bei allen Autorennen dabei. Adolf Budes wird 1954 mit einer serienmässigen Isabella das härteste Autorennen der Welt gewinnen, die Rallye Panamericana. Im Vorjahr sind Hans Hugo Hartmann und Adolf Budes nur durch Unfall und Disqualifikation ausgeschieden, eigentlich ist Hartmann der moralische Sieger. Hans Hermann und der gentleman racer Joakim Bonnier werden für Borgward fahren, die Helden unserer Jugend.
In den fünfziger Jahren sind Bremer richtig stolz auf Carl F.W. Borgward, der aus dem Nichts den drittgrößten Autokonzern Deutschlands aufbaut und der größte Arbeitgeber von Bremen ist. So ganz aus dem Nichts kommt Borgward natürlich nicht. Schon in der Weltwirtschaftskrise hat er sich einen kleinen Konzern zusammengeschustert. 1938 wird in Sebaldsbrück (wo heute Mercedes Automobile gebaut werden) das modernste deutsche Automobilwerk eröffnet. Architektonisch bis in die Gestaltung der Werkskantine durch Mart Stam dem Bauhaus verpflichtet. Man baut neben dem großen Hansa PKW Lastwagen und Spezialfahrzeuge für die Wehrmacht. Carl Borgward ist in der SA, in der SS und in der NSDAP und ist Wehrwirtschaftführer geworden. Diesen Teil der Firmengeschichte und die Tatsache, dass man in Osterholz für 1.000 „Fremdarbeiter“ ein Außenlager des KZ Neuengamme baut, haben die Werbeschreiber des Borgward Mythos nach 1945 immer unerwähnt gelassen. Und dass russische Zwangsarbeiterinnen bei Borgward sich am Internationalen Frauentag alle ihre Kopftücher rot gefärbt hatten (ein erstaunliches Zeichen des Widerstandes), diese Geschichte steht auch nicht in der Werkszeitung Rhombus. Wenn Borgward 1948 nach dreijähriger amerikanischer Internierungshaft nach Bremen zurückkehrt und sein durch Bomben zerstörtes Werk Sebaldsbrück sieht, ist er ein gebrochener Mann.
Ich fange nicht mehr von vorn an, im Leben werde ich keine Autos mehr bauen, sagt er. Aber er fängt nach dem Entnazifizierungsverfahren Ende 1948 doch wieder an. Lastwagen verkaufen sich gut. Erst recht der Vorkriegsbestseller, der kleine Goliath Dreiradtransporter (der Nachfolger des Blitzkarrens), Und jetzt nach der Währungsreform schlägt Borgward mit neuen Modellen zu. Auf dem Genfer Automobilsalon 1949 wird der Hansa 1500 präsentiert, die erste deutsche Nachkriegskonstruktion, stählerne Pontonkarosserie, 48 PS, 7.600 DM. Ein Jahr später gibt es ihn mit Automatikgetriebe. Der Autotüftler Borgward scheint seine dreijährige Haft im amerikanischen Lager Ludwigsburg dazu genutzt zu haben, sich alles Wissen über die Produktionen von Detroit anzueignen. Die Technische Hochschule Hannover belohnt ihn mit einem Ehrendoktortitel. Und für weniger als die Hälfte des Preises präsentiert Borgward gleichzeitig mit dem Hansa 1500/1800 den Lloyd LP 300, den der Volksmund umgehend Leukoplastbomber tauft.
Im Gegensatz zu solchen automobilen Mißgeburten wie dem Messerschmidt Kabinenroller ist dies schon beinahe ein richtiges Auto. Ein stinkender Zweitakter aus Sperrholz mit Kunststoffüberzug, der echte Vorläufer der Trabbi Rennpappe. Borgward wird ihn in tausenderlei Modellausführungen (die der Firma auch zum Verhängnis werden) zu hunderttausenden bauen, bis das Model LP 600 vom Alexander und der Arabella abgelöst werden. Arabella, allein dieser Name. Wurde von Spöttern allerdings Aquabella getauft, weil sie nicht so richtig wasserdicht war. Und dann der größte Verkaufserfolg: Isabella. Deutschland hat jetzt eine neue Italiensehnsucht, etwas anders als bei Goethe. Mit der Isabella (oder wenn man etwas ärmer ist: Arabella) nach Bella Italia. Da fehlen jetzt nur noch Rudi Schurickes Caprifischer.
Aber die Isabella, die Borgward 1954 auf den Markt bringt, das ist schon ein richtiges Auto. Die Traumfrau der fünfziger Jahre. Die sollte eigentlich gar nicht so heißen, der Modellname war steif hanseatisch Hansa 1500. Isabella war der Firmentarnname bei der Entwicklung. Und als man Carl Borgward fragte, welchen Namen man nun an den Kühlergrill tun sollte, hat er gesagt Ist mir ziemlich egal. Meinetwegen schreibt Isabella dran. Für diejenigen, die in dieser Zeit nicht nach Italien kommen, kommt Italien nach Deutschland. Überall betreiben die ersten Italiener Eisdielen, auch in Vegesack in der Breiten Strasse. Die Bremer Chiamulera Eisdielen zählen nicht zu diesem fünfziger Jahre Italien Import, die sind schon seit 1902 in Bremen.
1955 hat sich die Isabella schon 25.000 Mal verkauft, bei der Frankfurter Automobilmesse treffen am Borgward Stand drei zigarrenrauchende Herren aufeinander, die jetzt in Deutschland das Wirtschaftswunder symbolisieren. Heuss, Erhard und Borgward.
Fünf Jahre später war das Wunder in Bremen zuende. Borgward steht angeblich vor der Pleite. Sagt die Bild Zeitung. An der Isabella und dem schnittigen Isabella Coupé hat es nicht gelegen. An der niedrigen Gewinnspanne schon eher. Es kommt jetzt vieles zusammen. Es gibt zu viele Modelle und zuviel Neuentwicklungen. Ob der große Borgward P 100 mit der sensationellen Luftfederung 1960 Borgward herausgerissen hätte, kann man nicht mehr abschätzen. Nach 2.500 gebauten Exemplaren ist Schluss (mein Freund Keith hat nach langem Suchen im letzten Jahr noch einen für seine Sammlung gefunden, angeblich gibt es in Deutschland nur noch fünfzig Stück).
Was nach den ersten Zahlungsschwierigkeiten des jetzt siebzigjährigen Carl Borgwards folgt, ist eine Bremer Tragödie. Am Ende sind alle Gläubiger befriedigt (na ja, mit Ausnahme der verlorenen Steuergelder, die der Senat gewährte) und die Bremer haben wieder einmal gezeigt, dass sie doch nicht so gute Kaufleute sind. Allein dass sich der Senat als Berater für 250.000 Mark das CSU Gründungsmitglied Dr. Johannes Semler holt. Der ist Aufsichtsratmitglied bei BMW, welches Interesse hat der an einer Borgward Sanierung? Krisenmanagement sieht anders aus. In Monterrey in Mexiko wird es noch eine Borgward Produktion geben, bis 1968 kommen noch 230 GL Modelle und Isabella Coupés von dort nach Bremen. Die Firmenzeitung Der Rhombus gibt es heute noch, sie wird herausgegeben von der Carl F.W. Borgward Interessengemeinschaft, einem 1973 gegründeten Verein. Die haben auch einen Internetauftritt. Ich bin einmal vor zwanzig Jahren in einer liebevoll gemachten kleinen Borgward Ausstellung gewesen und bin da beinahe mit Tränen in den Augen rausgegangen. Alle automobilen Träume meiner Jugend waren dort in einer Halle versammelt und rosteten still vor sich hin.
Das Sterben der Firma Borgward vollzieht sich öffentlich, es wird überall auf der Straße und in der Straßenbahn diskutiert. Die Menschen reden damals noch miteinander, heute nicht mehr. Heute haben sie Mobiltelephone oder Kopfhörer am Ohr. Wilhelm Kaisen, dem der Bevollmächtigte der IG Metall am 3. August 1961 vom letzten Tag bei Borgward berichtet, kann es nicht glauben, dass es keinen Aufruhr gegeben hat. Auswärtige Beobachter sind überrascht über die starke Identifizierung der Arbeiter mit ihrem Betrieb und den Produkten ihrer Arbeit. Carl Borgward passt nicht mehr in die Zeit, er ist der Typ des benevolenten patriachalischen Kapitalisten des 19. Jahrhunderts, der seine Fabrik als eine große Familie betrachtet. Und seine Arbeiter fühlen sich bei ihm wohl, auch wenn die gewerkschaftliche Mitbestimmung bei Borgward (ebenso wie die Versuche der DKP Einfluss zu gewinnen) keine grosse Rolle spielt. Aber Borgward betrachtet den Betriebsratvorsitzenden Ernst Buchholz als Freund und Gefährten, mit dem man gemeinsam alle auftretenden Probleme lösen kann. Was auch gelingt, mit einem Chef, der jeden Tag im Betrieb ist und viele seiner Arbeiter persönlich kennt. Nur bei Lloyd und Goliath, wo viele ungelernte Arbeiter beschäftigt werden, und das Familienmodell nicht so ganz funktioniert, wird die DKP Streikpotentiale finden. Aber aus dem kleinen Goliath Streik 1955 geht nur die IG Metall als Sieger hervor, die Kommunisten versinken in der Bedeutungslosigkeit. Die Masse der 15.200 Arbeitsnehmer wird innerhalb der nächsten zwei Monate einen neuen Arbeitsplatz finden. Ende September sind nur noch 3.300 arbeitslos, die aber auch bis zum Jahreswechsel Arbeit finden. Keine Arbeit in der Automobilbranche finden die Betriebsratvorsitzenden Erwin Heinemann und Ernst Buchholz, die mit allen Mitteln für den Erhalt Borgwards gekämpft haben und denen der Bremer Senat keine 250.000 Mark nachgeworfen hat. Er wird auch keine Straßen nach diesen beiden verdienten Männern benennen, die an Borgwards Aufstieg vielleicht ebenso beteiligt sind wie Borgward selbst. Eine Carl Borgward Strasse gibt es aber inzwischen in Bremen. In das Stammwerk ziehen Hanomag und die Atlas Werke der Hugo Stinnes Gruppe, bei Goliath zieht die AEG ein. Der Hubschrauber Kolibri I, in dessen Produktion Borgward Millionen gepumpt hatte, wird verschrottet. Verschrottet wird auch der von Erich Übelacker entworfene Aluminium Sportwagen mit den riesigen Heckflossen, der seit Jahren auf dem Werksgelände herumstand, von dem es nur einen Prototyp gab (noch mit einem AE Nummernschild). Den hatte ein Werksfahrer in der Vahrer Strasse gegen einen Baum gesetzt.
Als Borgward untergeht, hat die Automobilisierung der jungen Republik schon einen großen Weg hinter sich, die Relikte der Besatzungszeit sind verschwunden. Die schwarzen Nummernschilder der Besatzungszonen sind den weißen Schildern mit Städtekürzeln gewichen. Und Vorkriegsautos sind kaum noch auf den Straßen zu sehen. Seit der italienische Futurist Marinetti verkündet hat, dass ein Rennwagen schöner ist als die Nike von Samothrake, hat sich jeder, der modern sein wollte, an das moderne Design gehalten. Die Nazis haben mit stromlinienförmigen Limousinen ihren Anspruch unterstrichen, auf dem Höhepunkt der Moderne zu sein. Dagegen ist die Vorkriegslimousine mit der Heuss zu Wilhelm Kaisen nach Borgfeld gefahren wird, ein Rückschritt ins automobile Biedermeier. Obgleich so ein alter Maybach irgendwie noch gut aussieht.
Automobile sind auch Symbole. Und die geheimen Verführer in Detroit, Stuttgart-Untertürkheim und Rüsselsheim präsentieren mit schnellem Modellwechsel die Symbole für die Nachkriegszeit und das Wirtschaftswunder. Der Mercedes 170, beliebt als Taxi und bei der Polizei, ist ja eigentlich noch ein Auto der dreissiger Jahre. Und die schönsten Produkte des Designs aus Untertürkheim, das zweitürige 300 S Cabrio oder den 300 SL Flügeltürenmercedes, kann sich eh keiner leisten. Will in Bremen auch keiner. Wenn der Werftbesitzer Burmester einen schwarzen Bentley hat, betont er eben, dass er keinen Rolls Royce fahren will wie die Hamburger. Und wenn die Kinder des Werftbesitzers L. einen 190 SL bekommen, wird die Tochter E. damit nur mitleidig angeguckt. Für einen 300 SL hat’s wohl nicht gelangt, ist der unausgesprochene Kommentar. Die Verweigerung der conspicuous consumption in feinen Bremer Kreisen bedeutet, dass man einen schwarzen VW Käfer fährt, wenn man wirklich vornehm ist. In Frankreich fährt die High Society noch in den sechziger Jahren ungeniert R4 oder Döschewo. Die machen dieses deutsche Konkurrenzspiel der Automarken nicht mit.
Ähnlich wie es im 17. Jahrhundert Holzschnitte gibt, die schön geordnet die Welt vom Kaiser bis hinunter zum Bettler zeigen, gibt es jetzt die ersten Automobilzeitschriften, die die Welt der Statussymbole auf den Strasse ordnen. Der Stern bringt in seiner Jugendbeilage Sternchen (Kinder haben Sternchen gern, Sternchen ist das Kind vom Stern, dichtet die Werbeabteilung. Kommt natürlich nicht gegen Salamanders Lurchi an) ein kleines Büchlein heraus, in dem alle Automarken abgebildet sind und in dem man als Mitglied des Sternchen Clubs eintragen kann, wann man dieses Auto auf der Straße gesehen hat. In einem Ort, in dem ein schwarzer VW Käfer das gesellschaftliche Ideal ist, fällt es schwer, dieses Heft zu füllen.
Wenn die Amerikaner gehen, werden sie einige Heckflossenmonster hier lassen. Die aber nur zur sozialen Stigmatisierung gut sind, da sie von Kriegsgewinnlern mit Pomade im Haar und Barbesitzern aus dem Hafenviertel gefahren werden. Oder von Showmastern (auch so ein englisches Wort, das die Engländer gar nicht kennen), Rudi Carrell fährt so was. Der wohnt lange Zeit bei Gudruns Eltern gegenüber, und der hat auch einen dicken Amerikaner vorm Haus stehen. Die ganze Straße hängt damals hinter den Küchengardinen, um zu gucken, was bei Rudi los ist. Gu und ich müssen für den Abschiedskuss immer bis zur Eisenbahnunterführung gehen, vorm Haus knutschen geht nicht mehr. Da guckt die ganze Strasse zu, auch in der Nacht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen