Anfang der siebziger Jahre hat Arno Schmidt die Idee, einen Wohnwagen zu kaufen. Den wollte er im Garten so aufstellen, dass er morgens da drin schon den Sonnenaufgang an der Schreibmaschine erleben kann. Das kann er in seinem Arbeitszimmer oben in dem kleinen Haus in Bargfeld nicht. Dann plant er um, seine Frau Alice soll in dem Wohnwagen schlafen, damit der große Schriftsteller im Haus mehr Raum hat. Erstaunlich was die arme Dichtergattin alles mit sich machen lässt. Ein Leben lang Aufopferung für ihren Mann. Sie ist ja schon überglücklich, wenn Bekannte sie mal mit einem Auto zu einem Ausflug mitnehmen. Als Arno dann einen Herzanfall hat, wird wieder umgeplant. Er zieht jetzt nach unten, damit er die Treppen nicht mehr zu steigen braucht. Aber die Idee mit dem Wohnwagen bleibt, der soll jetzt das Büro von Alice werden, die die ganze Korrespondenz für den Schriftsteller erledigt.
Die Sache mit dem Wohnwagen ist die große Chance für einen der größten Arno Schmidt Verehrer der Republik. Der wohnt in Bremen und ist von Krupp als Finanzchef der Vereinigten Flugtechnischen Werke dorthin geschickt worden. Er heißt ➱Otto Proksch und hat zwei Doktortitel. Kaum jemand von den 18.000 Beschäftigten bei VFW ahnt, dass ihr Chef ein leidenschaftlicher Arno Schmidt Leser ist. Selbst wenn sie es wüssten, der Name Arno Schmidt würde ihnen nichts sagen. VWF baut Flugzeuge, aber sie haben jetzt auch diversifiziert und bauen im Werk Hoyenkamp große Wohnwagen mit selbsttragender Karosserie. Ich weiß nicht, wie Otto Proksch Arnos Idee mit dem Wohnwagen spitzgekriegt hat. Aber er bietet Alice Schmidt den VFW 550 zum Sonderpreis von 10.000 Mark an. Firmenrabatt, und wahrscheinlich noch ein persönlicher Fan-Rabatt von Proksch. Er holt Alice auch mit dem Auto ab (Arno ist zu schwach für die Fahrt nach Bremen) und zeigt ihr alles, was VFW so baut. Auch die größeren Modelle, aber Alice ist der Meinung, dass der VFW 550 mit 12 Quadratmeter Innenfläche durchaus ausreicht.
Otto Proksch hat mir die Geschichte damals erzählt. Aber was für ihn eine Sternstunde sein sollte, wurde für ihn zur Enttäuschung. Arno Schmidt war zu krank und schwach (oder auch mal wieder zu unwillig), um auf seinen treuesten Leser einzugehen. Dabei konnte der Zettels Traum schon beinahe auswendig. Ich hatte die Geschichte beinahe vergessen, weil ich sie damals auch nie in der Arno Schmidt Literatur gefunden habe. Aber dann fand ich eines Tages in dem wunderschönen Photoband von Michael Ruetz Arno Schmidt Bargfeld ein Photo (No. 91) von dem Wohnwagen neben dem Haus. Da hat der VFW 550 schon ironisch den Namen "Wagenkontor" bekommen. Unter dem Bild sind zwei Briefe von Alice Schmidt an Dr. Proksch und ihre Mutter, den Wohnwagenkauf betreffend, abgedruckt. Der Wohnwagen hat sich auf dem Photo schon völlig in die Natur des Gartens eingepasst, the machine in the garden.
In dem Gedicht Walter Scotts Einzug in Abbotsford beschreibt Theodor Fontane die vielen Wagen, mit denen Sir Walter vor seinem neugekauften Schloß ankommt. Jeder Wagen enthält die Figuren und Requisiten der Romanwelt des Romanciers:
Requisitenkammer, Schatzkammer noch mehr,
So kommt der Zug von Edinburgh her.
Dreiundzwanzig Wagen. Nun ladet ab
Und, Sir Walter, schwinge den Zauberstab!
Arno Schmidt braucht keine dreiundzwanzig Wagen, ihm reicht ein einziger, damit seine Frau die Manuskripte abtippen und die Korrespondenz erledigen kann. Den Zauberstab besitzt er ebenso wie Sir Walter, den Rest hat er im Kopf oder in seinen Zettelkästen. Der Wohnwagen ist heute, wie man auch einem Photo im Internet sehen kann, arg heruntergekommen. Vielleicht sollte die Reemtsma Stiftung nicht nur das Werk von Arno pflegen, sondern auch mal den Wagen waschen. Auf Privatgrundstücken darf man das ja.
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