Montag, 26. August 2024

Autogeschichten

In dem Post völlig vergessen habe ich darüber geschrieben, dass ich meinen vor Jahren begonnenen Blog über Autos, den man unter automobilia findet, völlig vergessen hatte. Ich bin inzwischen beinahe damit fertig, alle verlorengegangenen Bilder und Links zu restaurieren. Als ich den viel gelesenen Post Françoise Hardy und die Autos geschrieben hatte, wo Françoise so elegant aus einem Lancia stieg, bekam ich Post von Wolfgang Butt, der auch einen Lancia besitzt. Den ehemaligen Skandinavistik Professor, der die halbe schwedische Literatur übersetzt hat, habe ich schon mehrfach erwähnt, zuletzt wohl in dem Post Nordic Noir. Er schickt mir manches vorbei, was er geschrieben hat. Das kleine Stück Literatur mit dem Titel Last Exit, das er mir letztens schickte, hat mich umgehauen. Ich schreibe viel, aber was er schreibt, ist richtige Literatur. Wie dies schöne Gedicht, in dem sein Lancia vorkommt. Es heißt kurzer halt am straßenrand:

psst behalt’s für dich wenn
dir die tränen kommen auf der
gewundenen straße zwischen
sonnenblumenfeldern bei
flirrender hitze und chris reas
still holding on weil du mal wieder
nicht weißt wohin mit dir
sentimentaler esel halt an heul dich aus
auch heute wird deine richtungslose
dankbarkeit keinen abnehmer finden
lass die luft aus deinem blauen ballon
hast du nicht schon im ersten jahr englisch gelernt
you can‘t have the cake and eat it
und du kennst das prozedere
der spielverderber vom dienst wird
sich pflichtgemäß melden mit seiner
miesmacherei die alles durchdringt
dem faktencheck der vor nichts haltmacht
selbst deine hehren momente hinterfragt
dass dich die scham befällt mensch zu sein
und diesen ort nicht so zu hinterlassen
wie du ihn vorfandst bei deinem auftritt
zu neandertalers zeiten trauerst
um die bäume blumen gräser die du
zertrittst im besten einvernehmen mit dir
selbst die schmetterlinge hummeln die
an deiner windschutzscheibe jäh
ihr leben geben für dein weiterkommen
oder bemitleidest du dich selbst weil du
nicht weißt wohin mit deinen füßen unfähig
engelgleich zu schweben aber das wusstest du doch
weichei du dass wo gehobelt wird da lass dich
ruhig nieder denn was nicht passt wird
passend gemacht und niemand
hält die späne die da fallen unendlich
sanft in seinen händen aber haben wir
nicht laubbläser im angebot buschfräsen
chemikalien die unsere erträge steigern
nicht zu vergessen die rücknahmegarantie
von altgeräten zur fachgerechten entsorgung
abseits der kreuzfahrerrouten oder dieser
landstraße wenig befahren geheimtipp
zwischen weinbergen sonnenblumenfeldern
und während du noch am straßenrand stehst
dir die augen reibst tief durchatmest
bevor du weiterfährst in deinem geliebten
vierzig jahre zurückgebliebenen lancia hpe
hat chris rea den ton gewechselt singt
jetzt sein paradestück the road to hell

Das Gedicht ist in poesie.xyz, einem Magazin für Gedicht & Kommentar, erschienen. Wolfgang Butt hat vor zehn Jahren auch ein ganzes Buch über Autos geschrieben, das Ruhender Verkehr: Von Autos und Menschen heißt. Ich drucke hier mal eben den Klappentext ab: Wenn Wolfgang Butt nicht gerade Krimis von Henning Mankell oder Arne Dahl, einen Liebesroman von Per Olov Enquist oder die Stimme des Fußballstars Zlatan Ibrahimović aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzt, streift er durch die Steineichenwälder des Quercy, seiner Wahlheimat im Südwesten Frankreichs. Dabei ist der bekennende Autonarr auf überraschende Funde gestoßen: Während in den dichter besiedelten Regionen Europas die Beisetzung von Automobilen in Massengräbern auf Autofriedhöfen die Regel ist, hat sich in den ländlichen Regionen Südwestfrankreichs die Sitte der Einzelbestattung von Autos bis in die jüngste Vergangenheit erhalten. Wolfgang Butt hat diese Funde fotografisch dokumentiert. Statt jedem Auto einen eigenen Nachruf zu widmen, hat er sie mit Geschichten umgeben, die dem techniklastigen Bild der Beziehung von Auto und Mensch eine emotionale Komponente hinzufügenBorgward kommt auch drin vor, weil Wolfgang Butt mal in Bremen gewohnt hat. Eine kleine Lancia Geschichte steht auch drin. Es ist ein wirklich schönes Buch, das ich unbedingt empfehlen kann. 107 Seiten Text und wunderbare Photos. Mein alter weißer Peugeot steht offenbar auch in Frankreich irgendwo im Gebüsch. Es gibt am Ende eine Gebrauchanleitung für das Buch: Eine Rezeptur für das Mischungsverhältnis gibt es nicht. Der Leser darf in den Texten frei schalten und walten. Wer sich in sie hineinbegibt, kommt darin vor, doch nicht notwendigerweise zu Schaden. Jeder darf sich angesprochen fühlen, keiner ist gemeint.

Die Technik der Autos ist das eine, die Ästhetik das andere. Aber es ist diese emotionale Komponente, weshalb wir uns an die Autos erinnern. Man träumt ja immer von Autos, die man nie bekommt. Wie dem weißen Facel Vega, der auf dem Osterdeich stand, wenn ich zum Weserstadion marschierte, um die grün-weißen Helden meiner Jugend zu sehen. Wenn der da stand, gewann Werder immer. Oder dieser riesige Rolls Royce mit dem Pariser Nummernschild, der plötzlich in der Nacht um drei auf dem Forstweg an mir vorbeiglitt, als ich von Ako Amadis Abschiedsparty nach Hause marschierte. Er war so leise, dass man verstand, weshalb die Firma einmal Modelle auf die Namen Ghost oder Phantom taufte. Einen Rolls Royce gab es in den fünfziger Jahren in Bremen nicht. Nur der Werftbesitzer Ernst Burmester, der mit der Ashanti VI die größte deutsche Hochseeyacht besaß, hatte einen dunklen Bentley. Ein Rolls wäre ihm zu prollig gewesen. So etwas kann man in Hamburg fahren, hat er gesagt, in Bremen nicht. Wahrscheinlich hat mein Freund Ron deshalb auch seinen Rolls (British Racing Green) in einen Bentley umbauen lassen. Nicht nur den Kühler ausgewechselt, nein, bis in die kleinsten Einzelteile.

Mein Blog ist voll von kleinen Autogeschichten, von denen manche, wie Des Königs Jaguar und Cutty Sark, große Leserzahlen erreichten. In meiner bis heute nicht zuende geschriebenen Autobiographie Bremensien, von der viele kleine Teile in diesen Blog gewandert sind, gab es natürlich auch ein Kapitel über Autos. Ich stelle heute einmal den Schluss dieses Kapitels hier ein. Alles an der Geschichte ist wahr, nur die Namen sind ein wenig verändert:

.... Nach Jahrzehnten mit verschiedenen Golfs kaufte ich mir das neueste Golf Modell, dem ich den Namen Moonlightblue gab, weil die Farbe des Autos so hieß. Schön, elegant, praktisch. Das beste war die blaue Instrumentenbeleuchtung in der Nacht. Die passte zu dem VW Video, in dem Nick Drake Pink Moon singt. Aber sonst war der Wagen langweilig. Die Romantik des Autofahrens, zu der auch der Reifenwechsel im strömenden Regen an der B 404 gehörte und dass einem der halbe Wagen von den sächsischen Grenztruppen bei der Einfahrt in die DDR zerlegt wurde, nachdem sie Gänsefleisch mal den Kofferraum aufmachen gesagt hatten, ist irgendwie dahin. Ist nix mehr mit Vorglühen und Zwischengas. In einer öden Gegend auf den ADAC warten. Ich kann nicht mehr hinten im R4 von Götz die Autobahn von Dänemark bis Kiel durch den verrosteten Boden sehen. Nicht mehr der Ingrid mal eben für fünfhundert Mark einen roten R4 kaufen, weil ihr alter grüner ständig liegen blieb. Warum sie mein Geschenk Paula genannt hat und nicht Jay, das weiß ich nicht. Die witzigen billigen Autos wie die R4s und Döschewos gibt es nicht mehr, aber es gibt an ihrer Stelle auch keine vernünftigen kleinen Autos. Der Höhepunkt der automobilen Verblödung sind Dienstwagen für Politiker und diese SUVs, die der Engländer Chelsea tractors nennt. Das hat alles keinen Stil. Dann doch lieber der alte Opel Kapitän, den Ron sich nach langem Suchen gekauft hat. Weil sein Vater 1959 das Modell gefahren hatte. Mit Weißwandreifen.

Wir hatten uns einige Zeit nicht gesehen. Ron war wohl mit dem Aufbau seiner Firma beschäftigt gewesen und war viel unterwegs. Aber an diesem schönen Sommertag saßen wir draußen vor dem Lüneburg in der Mitte der Dänischen Strasse. Ich sagte ihm, dass das eine schöne alte Bubble Back Rolex sei, die er da am Arm hätte. Er sagte mir, dass meine IWC auch toll sei. Neben ihm stand seine Neuerwerbung, ein silbergrauer Jaguar E Type. Wenn er die Hand ausstreckte, hätte er ihn streicheln können, so wie ein Italiener einer Frau auf der Straße den Po streichelt. Man darf überhaupt nicht mit einem Auto in die Dänische Straße fahren, weil das eine Fußgängerzone ist. Und man darf auch nicht in der Mitte der Straße ein Auto abstellen, damit man es von einem Stuhl des Lokals Lüneburg aus streicheln kann. Aber um solche Dinge kümmert sich Ron nicht. Wir redeten über alte Zeiten, schliesslich hatte Ron ja auch mal Englisch studiert und war mal Lehrbeauftragter gewesen. Dann wurden wir von einer eleganten Dame in Sommerkleidung angesprochen, die zuvor am Nachbartisch gesessen hatte. Sie sagte, sie hätte nicht umhin können, unserer Unterhaltung zuzuhören. Und ob das Englische Seminar, von dem wir geredet hätten, das Englische Seminar der Universität hier im Ort sei? Und ob es da einen Professor namens X gäbe? Nachdem ich das bejaht hatte und gleichzeitig rekapitulierte, ob ich in der letzten halben Stunde irgendwelche abfälligen Bemerkungen über den doofen X gemacht hatte, hörte ich von ihr Erstaunliches. Sie hatte bei X studiert (bevor er hierher kam), er hatte ihr angeboten, bei ihm Assistentin zu werden. Aber sie hatte das abgelehnt, weil sie ihn für den langweiligsten und dümmsten Menschen unter allen ihr bekannten Anglistikprofessoren hielt (das waren ihre Worte). Und sie hätte das nie bereut. Und dann sagte sie zu Ron Schönes Auto und zu mir Das ist wirklich eine tolle IWC, die Sie am Arm haben. Setzte ihren Sommerhut auf und entschwebte mit ihrem Rollkoffer zum Oslokai um die Ecke, um die Fähre nach Norwegen zu erreichen. Stilvoller Abgang. 

Ich fahre kein Auto mehr, man kann ohne Auto leben. Moonlightblue habe ich vor Jahren einer Freundin geschenkt.

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