Mittwoch, 31. August 2016

Georges Braques Rolls Royce


Georges Braque, 74, Kunstmaler und Massenproduzent moderner Bilder, kaufte sich als zweiter französischer Maler nach seinem Kollegen Bernard Buffet, 28, (SPIEGEL 28/1956) ein Rolls-Royce-Auto, schrieb der Spiegel 1956. Das mit dem Massenproduzenten mag der Künstler wohl nicht so gerne gehört haben. Als Braque (der am 31. August 1963 starb) sich den Rolls kaufte, hatte der Maler einen Chauffeur. In den zwanziger Jahren fuhr er noch selbst. Zum Beispiel diesen Alfa Romeo. Den er auch noch bemalt hatte, sozusagen ein echter Braque.

Das dürfen Maler mit ihren Autos ja tun. Wird viel zu wenig gemacht. Der Satz von Henry Ford, any color so long as it is black, gilt für das Europa des Art Déco nicht. Denn bevor John Lennon in einem psychedelischen ➱Rolls spazierenfuhr, gab es schon so etwas. Dieses Auto hier wurde nach einem Design von Sonia Delaunay neu gespritzt (es war nicht das einzige ➱Fahrzeug, das sie bemalte). Auch die beiden Damen, die das Auto dekorieren, tragen Kleidung, die von Delaunay entworfen wurde. Hergestellt wurden die Pelzmäntel von Jacques Heim, mit dem Delaunay lange zusammenarbeitete. Jacques Heim hatte übrigens 1946 auch einen Bikini erfunden, den er Atom nannte, aber da setzte sich doch das Modell von Louis Réard mit dem Namen Bikini durch (das hier schon einen Post hat).

Frauen scheinen in den zwanziger Jahren keine Angst vor dem Automobil zu haben. Tamara de Lempicka malt sich 1929 voller Stolz am Lenkrad ihres grünen Bugattis. Es ist die Zeit der flapper, jener jungen Frauen, die jetzt Sport treiben (wie in ➱Jordan Baker in Fitzgerald ➱Great Gatsby), Hosen tragen, öffentlich Zigaretten rauchen und Automobile besitzen. In der Geschichte der Emanzipation spielt das Automobil eine wichtige Rolle. Und ein Auto wie der Jordan Playboy war nicht für eine männliche Kundschaft konzipiert (lesen Sie ➱hier mehr über eine der berühmtesten Anzeigen der Werbegeschichte).

Die roaring twenties sind nicht nur die Zeit der flapper, sie sind auch die große Zeit des Art Déco - das Photo von Sonia Delaunays Auto und ihren Pelzmänteln wurde von einem Pavillon der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes (kurz: Art Déco) gemacht. Die zwanziger Jahre sind auch die große Zeit des ➱Plakats. Hier hat André Edouard Marty eine junge Dame der Pariser Gesellschaft in ihrem ➱Citroen abgebildet. Wir können hier sehen, dass das Automobil ein Accessoire der ➱Haute Couture geworden ist.

Marty hatte an der Ecole des Beaux Arts studiert und arbeitete für die führenden Modejournale wie die Gazette du Bon Ton, das Journal des Dames et les Modes oder Vogue. Er war sogar so berühmt, dass ihn ➱London Transport für Plakate verpflichtete. Das hätte ich in dem Post ➱Keep calm and carry on vielleicht noch erwähnen sollen. Um das wieder gutzumachen, habe ich hier ein schönes Plakat, das er für London Underground entworfen hat.

Der Elendsmaler Bernard Buffet hatte nicht nur einen Rolls, er malte ihn auch gerne. Obgleich es viele Künstler gibt, die einen Rolls besitzen, malt kaum jemand das Objekt der künstlerischen Begierde. Marcel Duchamp tat das nicht, und auch Joseph Beuys hat seinen Bentley nicht gemalt. Der Massenproduzent Georg Baselitz weiß weshalb: Wenn einer zu viele Ringe an den Fingern trägt oder einen Rolls-Royce fährt, wird der geschmäht. Das ist ein Phänomen, das in einer Neidgesellschaft wuchert. Ganz übel, und Deutschland hat dazu alle Fundamente gelegt.

Das ist natürlich schlimm, Maler wie Baselitz haben es in Deutschland ganz schwer. Ein Rolls Royce ist etwas für ➱Könige. Und für Kleinbürger wie Baselitz, der sich - ebenso wie Bernard Buffet - ein Schloss kaufte. Etwas weniger beklagt sich da Markus Lüpertz. Massenproduzent moderner Bilder, Millionär und Rolls Royce Liebhaber Markus Lüpertz hatte soviel Humor, das Cover für den Krimi von Joseph Wambaugh Der Rolls-Royce-Tote zu zeichnen.

Georges Braque war in seiner Jugend ein wilder Fahrer gewesen. Sein Freund ➱Picasso war um ihn besorgt und hatte ihm immer zu einem Chauffeur geraten. Den bunt bemalten Alfa hatte Braque nicht lange behalten, er verkaufte ihn für tausend Francs an den Dichter Blaise Cendras (lesen Sie mehr in dem Post ➱Blaise Cendrars). Kaufte sich aber sofort einen neuen Alfa. Als Braque sich einen großen Hispano Suiza kaufte, leistete er sich dann auch einen Chauffeur. Mit Livree.

Ein Hispano Suiza war damals viel exklusiver als ein Rolls (lesen Sie ➱hier mehr dazu), wahrscheinlich ist das auch ein Grund dafür, dass Picasso sich 1953 auch einen kaufte. Und sich natürlich einen Chauffeur zulegte. Er mochte das Auto, weil es so groß war, dass er seine ganze Malausrüstung darin verstauen konnte. Braque andererseits hatte ein kunstvolles System ersonnen, um Leinwände und Malmaterial auf dem Dach seines Rolls zu befestigen. Ein Jahr bevor sich Picasso seinen Hispano Suiza kaufte, hatte er diese Plastik eines Pavians geschaffen, dessen Kopf aus einem Auto besteht, aber Picassos Plastik und sein Auto haben bestimmt nichts miteinander zu tun. Man weiß nicht, was in Picassos Kopf vorgeht.

Ein Rolls Royce bietet sich für einen Künstler schon deshalb an, weil er selbst ein Kunstwerk ist, da hätte man den Plan von Alina Szapocznikow, einen riesigen ➱Rolls-Royce aus portugiesischem rosa Marmor herzustellen, gar nicht gebraucht. Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky hat in einem witzigen Aufsatz mit dem Titel The ideological antecedents of the Rolls-Royce radiator auf die gerade, klare Gliederung der Villen des Palladian Style hingewiesen (und der Rolls-Royce Kühler verdankt ➱Palladio ja auch vieles), die in völligem Gegensatz zu der gewollten Unordnung der Natur des englischen ➱Landschaftsgartens steht. Deshalb stellen Sie Ihren Rolls am besten in den Park. Aber niemals unter ➱Lindenbäume. Sagt ein Handbuch für Rolls Royce Chauffeure.

Man kann einen Rolls in jeder beliebigem Form bekommen. Das hier gilt allgemein als der hässlichste Rolls, der je gebaut wurde. Nubar Gulbenkian (der bestimmt ein halbes Dutzend Rolls Royce besaß) hatte ihn sich 1947 von der Karosseriefabrik Hooper bauen lassen. Not everyone will care for the very advanced appearance - but there is no doubt it is striking, schrieb die Zeitschrift Autocar. Man kaufte bei der Firma Rolls Royce eigentlich nur Fahrwerk und Motor, alles andere machten Firmen wie Hooper, Mulliner oder Park Ward.

Die Erfahrung musste auch der junge Michael Caine machen, als er ein spezielles Modell haben wollte. Ein älterer Herr sagt ihm bei der Autoshow: I think I can assure you myself, sir, that the Mulliner Park Ward chassis will never be available on the model you require because Mr Mulliner is dead and I am Mr Park Ward, so you are getting your information straight from the horse's mouth, as the saying goes. Lesen Sie mehr dazu in dem Post ➱Luxuskutschen. Heute fährt Michael Caine, der noch keinen Führerschein hatte, als er sich seinen ersten Rolls kaufte, einen grauen Lexus: I used to drive a Rolls and all that but they were just too ostentatious for this world now. I had to get rid of them. Die goldene ➱Rolex ist auch vom Arm verschwunden. So etwas hat doch Stil.

Natürlich ist es immer feiner, einen Bentley zu haben als einen Rolls Royce. Das hatte Braque auch eingesehen, sein Rolls machte einem grauen Bentley Platz. Der Spiegel wusste damals zu vermelden: Georges Braque, 79, französischer Kubist, läßt seinem 80 000-Mark-Auto, einem britischen Bentley, bei den täglichen Spazierfahrten in Paris zwei Motorroller-Fahrer vorauseilen, damit er rechtzeitig vor Verkehrsstockungen gewarnt wird, die dem Maler zuwider sind. Wenn man Massenproduzent moderner Bilder ist, kann man sich auch so etwas leisten.

Es gibt genügend Gemälde, auf denen Automobile sind. Und es gibt auch inzwischen eine große Zahl von Büchern wie Das Automobil in der Kunst 1886 - 1986 von Reimar Zeller (Prestel Verlag), Automobil: Das magische Objekt in der Kunst (derselbe Autor, diesmal beim Insel Verlag), Art and the automobile von D.B. Tubbs oder Gerald D. Silks Automobile and Culture (und ich hätte hier für Liebhaber amerikanischer Automobile noch einen Link zu einer sehr interessanten Nummer des ➱Michigan Quarterly Review). 

Dieser schöne Cézanne mit einem alten Citroen ist in all den oben erwähnten Büchern nicht zu finden. Man kann das Bild lediglich in der Folge Who Killed Harry Field? der englischen Krimiserie ➱Morse sehen. Sie können sie ➱hier in mehreren Teil sehen, ich finde, dass es der beste Morse ist. Der Maler, der dieses Bild gefälscht hat, sagt in dem Film zu Morse: Two golden rules of forgery, Mr. Morse, spontaneity and never do Raphael. Braques werden häufig gefälscht (ein Raffael seltener), auch unser ➱Wolfgang Beltracchi hat falsche Braques gemalt. Wenn Sie einen Georges Braque haben wollen, dann wenden Sie sich doch mal an diese ➱Adresse.

Das ist kein Fäslscher, i bewahre, das ist ein Künstler: When I paint in the style of one of the greats… Monet, Picasso, Van Gogh… I am not simply creating a copy or pale imitation of the original. Just as an actor immerses himself into a character, I climb into the minds and lives of each artist. I adopt their techniques and search for the inspiration behind each great artist’s view of the world. Then, and only then, do I start to paint a ‘Legitimate Fake’. Raffael hat der Mann nicht im Programm, Braque schon. Wenn Sie ihn bitten, malt der Produzent von legitimate fakes Ihnen bestimmt auch einen kleinen Rolls Royce zwischen die Häuser.



Montag, 1. Februar 2016

Thomas Cole


Der amerikanische Maler Thomas Cole wurde am 1. Februar 1801 geboren. Er hat Bilder der wilden Schönheit von God's Own Country gemalt, einem Land, das sich in der Zeit der Romantik über die ➱Natur definierte. In der Trauerrede für seinen Freund Cole sprach der amerikanische Dichter ➱William Cullen Bryant 1848 von delight at the opportunity of contemplating pictures which carried the eye over scenes of wild grandeur peculiar to our country, over our ariel mountain-tops with their mighty growth of forest never touched by the axe, along the banks of streams never deformed by culture.

Dieses never deformed by culture ist wichtig. Schon ein Jahr zuvor hatte die Zeitschrift The Literary World in einer Besprechung der Gemälde von ➱Jasper F. Cropsey geschrieben: The axe of civilization is busy with our old forests, and artisan ingenuity is fast sweeping away the relics of our national infancy ... What were once the wild and picturesque haunts of the Red Man, and where the wild deer roamed in freedom, are becoming the abodes of commerce and the seats of manufactures. . . . Yankee enterprise has little sympathy with the picturesque, and it behooves our artists to rescue from its grasp the little that is left, before it is too late. Auf dem Bild des ➱Kaaterskill Wasserfalls von Cole ist in der Bildmitte ganz klein ein Indianer (legen Sie zwei Diagonalen durch das Bild, dann finden Sie ihn), die werden auch immer weniger auf den Bildern der amerikanischen Maler.

Heute definieren sich die USA nicht mehr über die Natur. Sie sind eher die Umweltschweine der Welt. Das Kyoto Abkommen haben sie immer noch nicht unterschrieben. Vor zwei Jahren druckte die Süddeutsche einen Artikel, der ➱Dreckige Provokation hieß. Es ging darin nicht um die VW Diesel Fahrzeuge, sondern um die in den USA beliebten Coal Rollers. Da schrauben die Obama Hasser die Partikelfilter aus ihrem Diesel und blasen voller Lust den ganzen Dreck in die Luft. Gilt als politisches ➱Statement. Coale statt Cole, das ist doch mal was.

Wenn er [Obama] für Umwelt ist, dann sind wir dagegen. Einen dicken Auspuff auf meinen Truck zu bauen – das ist mein Weg, ihm den Mittelfinger zu zeigen. Du willst frische Luft und eine tolle CO2-Bilanz? Dann verpiss dich, sagt ein Auspuffverkäufer aus Wisconsin. Das sind klare Aussagen. Werden diese Typen etwa von Loretta Lynch verfolgt? Da hätte VW doch mal den Spieß umdrehen können und die Werbebotschaft ausgeben können: Wir bauen die besseren Coal Rollers. Das ist doch etwas anderes als diese Botschaften für Weicheier, die Mercedes ausgab und von emissionsfreier Mobilität und Blue Efficiency redete (lesen Sie weiter in ➱Blue Skies).

Die Vernichtung der amerikanischen Landschaft war schon zu Coles Zeiten eine Gefahr. Cole hat das in seinen Schriften und Gedichten (wie The Lament of the Forest oder The Complaint of the Forest) immer wieder angesprochen. Ebenso James Fenimore Cooper, dessen Roman The Pioneers geradezu ein ➱Umweltroman ist. Vor Thomas Cole gab es so gut wie keine amerikanische Landschaftsmalerei, er gilt als der Stammvater der Hudson River School. Das erste öffentliche Kunstmuseum Amerikas ist das Wadsworth Atheneum (finanziert von der Familie von ➱Samuel Colt bekommen hat), es war das einzige amerikanische Museum, das von Beginn an die Hudson River School gesammelt hat.

Im Gegensatz zu all den Gründungen von Museen in der Zeit des Gilded Age, mit deren Finanzierung sich banausenhafte Millionäre ihren Ruhm für die Ewigkeit erkaufen, sammelt man in Wadsworth amerikanische Malerei. Einen Teil dieser Bestände konnte man im Jahre 2007 unter dem Titel Neue Welt: Die Erfindung der amerikanischen Malerei in der Bucerius Stiftung in Hamburg sehen. Den Katalog kann man noch antiquarisch finden.

Thomas Cole ist in diesem Blog kein Unbekannter, er hat schon zwei ausführliche Posts, die ➱Abschied und ➱Bäume heißen. Jetzt bekommt er an seinem Geburtstag noch einen kleinen Post, der Thomas Cole heißt. Der musste mal eben sein, weil der von mir vor Tagen versprochene lange Post über die dänischen Kirchen und die Löwen immer länger wird. Kommt aber noch diese Woche. Auf den Bildern von Cole gibt es keine Löwen, aber es gibt einen netten Blog, der ➱The Lion of Chaeronea heißt, wo man auch Bilder von Cole sehen kann. Das Internet stellt seltsame Zusammenhänge her.

Cole war nicht nur Maler (und Hobbyarchitekt), er schrieb auch Gedichte. Es hat lange gedauert, bis die in gesammelter Form in ein Buch gelangten, erst 1972 erschien (von Marshall B. Tymn herausgegeben) das Buch Thomas Cole's poetry: the collected poems of America's foremost painter of the Hudson River School reflecting his feelings for nature and the Romantic spirit of the nineteenth century. Inzwischen ist das Werk auch im Volltext im Internet zugänglich (klicken Sie ➱hier). Eins von den Gedichten des Naturliebhabers Cole, das The Wild heißt, möchte ich zum Abschluss zitieren:

Friends of my heart, lovers of Nature's works,
Let me transport you to those wild blue mountains
That rear their summits near the Hudson's wave.
Though not the loftiest that begirt the land,
They yet sublimely rise, and on their heights
Your souls may have a sweet foretaste of heaven,
And traverse wide the boundless: From this rock,
The nearest to the sky, let us look out
Upon the earth, as the first swell of day
Is bearing back the duskiness of night.
But lo! a sea of mist o'er all beneath;
An ocean shoreless, motionless, and mute.
No rolling swell is there, no sounding surf;
Silent and solemn all; the stormy main
To stillness frozen, while the crested waves
Leaped in the whirlwind, and the loosen'd foam
Flew o'er the angry deep.

See! now ascends
The Lord of Day, waking with pearly fire
The dormant depths. See how his glowing breath
The rising surges kindles : lo! they heave
Like golden sands upon Sahara's gales.
Those airy forms disporting from the mass,
Like winged ships sail o'er the wondrous plain.
Beautiful vision! Now the veil is rent,
And the coy earth her virgin bosom bares,
Slowly unfolding to the enraptured gaze
Her thousand charms.


Ich hätte hier noch eine interessante interaktive ➱Thomas Cole Seite. Und wenn Sie alles über die amerikanische Landschaftsmalerei der Romantik und die kulturelle Definition der Nation über die Natur lesen wollen, das Standardwerk Nature und Culture von Barbara Novak ist ➱hier im Volltext. Und da ich vorhin erwähnte, dass Thomas Cole auch Hobbyarchitekt war, muss ich noch mein Lieblingsbild The Architect's Dream (das schon mehrfach in diesem Blog auftaucht) hierher stellen.

Sonntag, 17. Januar 2016

NSU


Wenn man heute die Buchstaben NSU liest, dann stehen sie in dem meisten Fällen nicht für die Automobile aus Neckarsulm, sondern für etwas, das Nationalsozialistischer Untergrund heißt. Dieser Name ist ziemlich neu, vielleicht sollte man auch besser nicht diese grotesk großartige Bezeichnung verwenden, sondern von den Mördern Mundlos, Böhnhardt und ihrem Flittchen reden. Die Fabrik in Neckarsulm, die vor den Automobilen zuerst Strickmaschinen, dann Fahr- und Motorräder herstellte, gibt es dagegen schon seit 1873. Und schon 1892 haben sie das NSU (als Abkürzung für die Flußnamen Neckar und Sulm) als Markenzeichen verwendet.

Heute gibt es die Firma NSU nicht mehr, die Nachfolgefirma heißt Audi (das Börsensymbol für die Aktie der Audi AG ist aber weiterhin NSU), ihre Produktion von Motorrädern und Automobilen ist längst Geschichte. Wie zum Beispiel der berühmte Ro80 (der ➱hier schon einen Post hat) oder der NSU 1000TT, der in der TTS Version viele Rennen gewann (sogar einmal die Rallye Monte Carlo). Oder natürlich der NSU Prinz. Ein Modell, das das Badewannen Design des Chevrolet Corvair hatte. Ich kenne es nur zu gut. Ich hatte mehrere.

Ich weiß, dass es einen Klub für Fans der NSU Prinz Modelle gibt. Sie können ➱hier ihre Website anklicken (einen ➱Blog haben die auch). Ich bin da aber kein Mitglied, ich habe schon in dem Post ➱Ehemalige gesagt, dass ich nicht der Typ für Vereine und so etwas bin. Ich gehe auch selten zu Klassentreffen. Schreibe gerade aber an einem Post, der Klassentreffen heißt, aber ich weiß nicht, ob der je fertig wird. Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry hat nichts mit dem NSU Prinz zu tun, er ist nur hier, um diesem Post einen literarischen Anstrich zu geben. Den er später noch bekommen wird.

Auf diesem Photo der ➱Dänischen Straße in Kiel kann man sehen, dass man die Dänische Straße noch befahren kann, dass es noch eine Straßenbahn gibt und dass da rechts ein heller NSU steht. Ich habe das Gefühl, dass das meiner ist. Das ist aber schon die NSU Prinz 1000 Version. Er hieß Principessa, ➱Gudrun hatte ihn so getauft, das Auto steht auch schon in dem Post ➱Cutty Sark. Ein Post, der sehr komisch ist. Und in dem jedes Wort wahr ist.

Ein NSU 1000 war vor fünfzig Jahren schon eine schöne Sache, Welten oberhalb des Prinz 4. Oder des Prinz 3, den man das Brötchen nannte. Der Dirk hatte einen, das weiß ich. Den hatte er mir nämlich mal angedreht, damit ich den von ➱Dänemark nach Hause fuhr. Er selbst fuhr mit dieser scharfen Frau aus Hamburg zurück, die er am Strand kennengelernt hatte. Die hatte ein rotes Alfa Romeo Cabriolet. Ich glaube, der Dirk wollte nicht, dass sie seinen Prinz 3 sah. Die Rückfahrt mit Dirks Auto gestaltete sich etwas problematisch, die Kühlung war kaputt, man musste den Wagen die ganze Zeit mit voll aufgedrehtem Heizungsgebläse fahren. Draußen waren dreißig Grad.

Mit einem Prinz 3 konnte man keine Frauen aufreißen. Mit einem NSU TT schon. Der Rüdiger fuhr einen knallroten. Die Elke, mit der er mal was hatte, war etwas durchgeknallt. Hatte jede Woche eine andere Haarfarbe. ➱Swinging London schwappte auch zu uns herüber, obgleich im Englischen Seminar das einzige, das swingte, die Schwingtür zum Romanischen Seminar war. Elke ist mal auf einer Party völlig high nach einer dramatischen Szene aus dem Fenster gesprungen. Sie ist weich gelandet. Die Party war im Erdgeschoss, und vor dem Fenster war weicher grüner Rasen. Ob aus der Geschichte mit Dirk und der scharfen Frau mit dem roten Alfa etwas geworden ist, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass der Dirk ein ganz hohes Tier bei Daimler Benz geworden ist und da bestimmt nie erzählt hat, dass er mal einen NSU Prinz 3 hatte.

Ganz oben auf der Skala der NSU Prinzen stand der NSU Wankel Spider. Hatte die gleiche Karosserie wie der Sport Prinz und war das erste Auto in Deutschland, das einen Wankelmotor hatte. An den Ro 80 dachte man bei NSU damals noch nicht. So klein er war (3,58 lang), so cool war sein Design. Angeblich schaffte er über 150 km/h. Wenn er nicht bei dem Bremer NSU Händler Will van Gels auf dem Hof stand. Bei uns in der Straße stand einer, in genau dieser Farbe. Hatte ein Klinikchef seiner Gattin geschenkt. Er nannte seine Gattin Kiki, das passte zu dem Auto. Das rote Cabrio wurde im Ort als Nitribitt Auto en miniature verspottet (in anderen Gegenden Deutschlands hieß es Facharbeiter Porsche), das gemeine Volk ist gnadenlos in seinem ästhetischen Urteil. Das mit en miniature stimmte schon, der Mercedes 190 SL von Rosemarie Nitribitt war immerhin siebzig Zentimeter länger.

As I sd to my
friend, because I am
always talking,--John, I

sd, which was not his
name, the darkness sur-
rounds us, what

can we do against
it, or else, shall we &
why not, buy a goddamn big car,

drive, he sd, for
christ's sake, look
out where yr going.

Das Gedicht von Robert Creeley musste mal eben sein, um daran zu erinnern, dass hier auch noch Literatur ins Spiel kommt. Was man den bei Besitzern von NSU Fahrzeugen nicht vermuten würde. Ich habe all diese kleinen Geschichten nur erzählt, um zu verdeutlichen, dass die Besitzer von NSU Automobilen ganz normale Menschen waren, die ihre billigen Autos liebten und pflegten. Sie lagen unter ihnen, während ein Freund von oben Wasser hineingoss, damit sie sehen konnten, wo die Löcher im Bodenblech waren. Sie legten vorne kleine Sandsäcke hinein, um die Bodenhaftung zu verbessern. Sie begrüßten andere NSU Fahrer auf der Autobahn mit der Lichthupe. Sie wuschen ihre Autos mit Hingabe. Aber sie hatten nichts mit irgendwelchen Untergrundorganisationen zu tun.

Doch das hat sich heute geändert. NSU hat jetzt einen schlechten Namen. Erst kam dieses Nationalsozialistischer Untergrund, dann kam Frank Witzel. Der hat im letzten Jahr den Deutschen Buchpreis für ein genialisches Sprachkunstwerk ..., das ein großer Steinbruch ist, ein hybrides Kompendium aus Pop, Politik und Paranoia bekommen. Das genialische Sprachkunstwerk, das beinahe so lang wie Tellkamps Der Turm ist, hat den etwas verwirrenden Titel Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969. Es ist ein Werk, das den NSU Prinz 4 literaturfähig gemacht hat:

Die Landstraße schlängelt sich wie auf einer Kinderzeichnung vom grauweißen Horizont zu dem Feld vor meinen Füßen. Und da kommt auch schon ein Auto angefahren. Es ist kein Ferrari 250 GT 12 Zylinder 4 Takt Hubraum 2953 cm3 mit 240 PS und 230 Stundenkilometern, noch nicht mal ein Porsche 501 6 Zylinder 4 Takt Hubraum 1995 cm3 mit 120 PS und 200 Kilometern, sondern nur ein NSU Prinz 2 Zylinder 4 Takt 578 cm3 mit 30 PS, der gerade mal 120 macht, mit Rückenwind, und hier geht es bergauf, raus aus dem verschneiten Dorf, und ich habe noch nicht mal den Mopedführerschein, und Claudia brüllt und Bernd schreit, ich soll mich weiter rechts halten, damit uns die Bullen in den Kurven aus den Augen verlieren, aber das ist gar nicht so leicht, denn unser NSU Prinz hat hinten schlecht aufgepumpte Reifen, sodass ich kaum die Balance halten kann. Trotzdem liegen wir ein ganzes Stück vorn. Hinter uns die Bullen mit ihrem vollbesetzten Mannschaftswagen VW T2 fangen an zu ballern. Die Kugeln schlagen in die Schneewehen und springen vom Straßenasphalt gegen den zitronengelben Lack der Kotflügel. Claudia kramt im Handschuhfach nach einer Waffe. Die ist nicht geladen, sage ich. Wie, nicht geladen? Kein Wasser drin. Wasser? Das ist meine Wasserpistole. Sag mal, spinnst du? schreit Bernd. Wo ist denn die Erbsenpistole? Vergessen, aber die Wasserpistole ist echt gut, die hat vorne nen Ring, da kannst du um die Ecke schießen. Ihr seid Spinner, vollkommene Spinner, ich denk, ihr habt euch das Luftgewehr von Achim geliehen. Der war nicht da, nur seine Oma, und die wollte es nicht rausrücken.

Prinz 4 und Rote Armee Fraktion, konnte der kein anderes Auto nehmen. Schon machen sich die Rezensenten des Buches über den NSU Prinz lustig, gehässige Bemerkungen über das Symbol der deutschen Spießigkeit fallen da schon mal. Ikonen des Bösen betitelte die Zeit ihre Rezension von Frank Witzels Roman. Und da spricht ein gewisser Jens Jessen davon, dass ein NSU Prinz 4 der Inbegriff dämonischer Niedlichkeit im deutschen Kleinwagenbau sei. Er wird es wissen, er kam gerade zur Schule, als der NSU auf die Straße kam.

Er wird auch nicht mitbekommen haben, dass das Land Baden-Würtemberg sogar eine Anzahl dieser Automobile als Einsatzfahrzeuge verwendet hat. Vielleicht hätte Frank Witzel mal den gelben NSU seiner Kleinkriminellen von diesem Auto jagen lassen sollen. Meine Pricipessa war keine Ikone des Bösen und diente niemals als Fluchtwagen. Mit der Staatsmacht kam sie allerdings auch einmal in Berührung. Ich wollte nach Plön zu Georg, der als Lehrer am Schloss abends die Reithalle nutzen durfte, wir spielten da Badminton.

Kurz vor Preetz geriet ich in der Dunkelheit in eine Polizeifalle. Allgemeine Verkehrskontrolle, bellte ein schwer bewaffneter Polizist. Macht euch nicht lächerlich, sagte ich. Wie meinen Sie das? sagte er. Sie haben Ihre Hand an der Wumme, und da vorne liegt einer hinter einem Maschinengewehr, das nennt man kaum eine 'allgemeine Verkehrskontrolle'. Er war voller stiller Wut. Aber als er in meinen Papieren meinen Doktortitel vor dem Namen und meinen Dienstausweis des Landes Schleswig-Holstein sah, schlug seine Aggressivität in Servilität um. Mehr als diese beiden Verhaltensmuster hatte er, wie viele Polizisten damals, nicht drauf. Es war die Zeit von Baader-Meinhof. Ulrike Meinhof sollte damals in Schleswig-Holstein sein, das Gerücht hatte ich auch gehört.

Sie waren ja überall. Und hatten schnelle Autos. Keinen NSU Prinz. In meiner Heimatstadt Bremen - wo ➱Schillers Räuber dank Wilfried Minks auf der Bühne so aussahen - war man vorbereitet. Ein jüngerer Bremer Polizeioffizier schrieb über einen Kollegen, der über die mögliche Ankunft der Baader Meinhof Bande informiert wurde, folgendes ausführte: „Meine Herren,“ hiernach das unvermeidlich im Offizierston geschnarrte „Äh,“ „Das I. Polizeirevier errichtet in Höhe des Mahndorfer Bahnhofs eine Kontrollstelle, die Baader-Meinhoff Bande kommt in Bremen zu Besuch. Die Bahnhof-Meiner-Bande soll nach Erkenntnissen des BKA am Dienstag kommen. Ich bitte um strengste Eigensicherung, äh, da die Baader-Mahndorf-Bande, äh, ich meine natürlich die Bahnhof-Mahndorf-Bande vermutlich schwer bewaffnet ist!

Der Ekke ist damals mal richtig sistiert worden. Wenn da aus Frankreich ein junger Mann mit rotblondem Vollbart in einem versifften ➱Döschewo an der Grenze ankommt, dann ist der schon mal verdächtig. Wenn er mit einem NSU Prinz gekommen wäre, wäre er nicht verdächtig gewesen, aber ein Citroen ist verdächtig. Das weiß man. Also erstmal festhalten und Personalien überprüfen. Nach einer Stunde kam dann ein Fax, das den Grenzern mitteilte, dass ihnen ein echter Düsseldorfer Staatsanwalt ins Netz gegangen war. In der Hysterie der deutschen Hexenjagd war vieles möglich. for christ's sake, look out where yr going.

Die Baader Meinhof Bande fuhr gern BMW. Es machte damals schon ein Witz die Runde, dass BMW für Baader Meinhof Wagen und nicht für Bayrische Motorenwerke stünde. Und es gab BMW Besitzer, die einen Sticker auf ihr Auto klebten, auf dem stand, dass sie keine Terroristen seien. Andreas Baader (der keinen Führerschein besaß) fuhr gerne Luxusautos. Wie einen ➱Iso Rivolta (auffälliger geht es nun wirklich nicht) oder diesen Porsche 911 S Targa. Der natürlich gestohlen war. Auf diesem Photo steht der Besitzer Rainer Schlegelmilch im Keller des BKA vor seinem Porsche. Das orangefarbene Fahrzeug hinter ihm ist ein NSU TT. Ja, auch so etwas hat die Baader Meinhof Bande mal gefahren. Natürlich war der Wagen einem ehrlichen NSU Besitzer geklaut worden.

Meine Principessa hatte ein trauriges Ende. Als ich mir den ➱Peugeot kaufte, ließ mein Vater den NSU einmal gründlich überholen, mit neuen Reifen und allem Pipapo und schenkte ihn dann der Verlobten meines Bruders. Die ließ allerdings kurz vor der Hochzeit meinen Bruder sitzen und brannte mit dem Trauzeugen und dem NSU durch. Und diesen fetten hässlichen Kerl sah ich dann noch jahrelang am Lenkrad meiner Principessa. Es war zum Heulen.

Die Autos aus Neckarsulm werden schon in folgenden Posts erwähnt: WankelmotorTraumwagenCutty SarkFahrstuhl zum SchafottHeinrich VogelerFranco Costa

Sonntag, 29. November 2015

Tatorte


Heute vor fünfundvierzig Jahren wurde die erste Folge einer neuen Krimireihe ausgestrahlt, die Tatort hieß. Damals war das eine aufregende Sache, es gab noch nicht diese Schwemme von Krimis im Fernsehen wie heute. Wo man jeden Tag mindestens ein halbes Dutzend Krimis sehen kann. Von der Sendung Stahlnetz (Drehbücher von Wolfgang Menge, Regie Jürgen Roland) gab es 22 Folgen in zehn Jahren. Langsam und betulich. Keine Schießereien, keine Blutbäder. Alles in schwarz-weiß. Mit dem ersten Tatort kam Farbe in das deutsche Krimileben.

Und es kam ein wiedererkennbarer Vorspann, der bis heute nicht geändert wurde. Lediglich ein gewisser Til Schweiger, gerade als Hauptkommissar bei der Hamburger Mordkommission eingestellt, ließ über den Vorspann verlauten: Den würde ich gerne ändern. Also das finde ich irgendwie dämlich. Den Vorspann, der ist jetzt wirklich outdated. Und da werde ich für kämpfen, dass bei meinem ersten "Tatort" ein anderer Vorspann läuft. Die Betonung liegt auf dem Wort kämpfen, Til Schweiger kämpft immer.

Das vierzigste Jubiläum des Tatorts ist mir nicht entgangen, ich schrieb heute vor fünf Jahren den Post ➱Tatort. In einem Jahr wird es wieder einen Tatort geben (den tausendsten), der Taxi nach Leipzig heißt, aber ich glaube nicht, dass ich darüber schreiben werde. Heute vor einer Woche wurde der Tatort Der große Schmerz von der ARD abgesetzt. Es war ein Tatort mit Til Schweiger (und Helene Fischer), der der erste Teil eines Dreiteilers war. Auch wenn Walter Richter, der den Hamburger Hauptkommissar Trimmel in dem Tatort Taxi nach Leipzig (➱hier ganz zu sehen) spielt, hier mit einer Pistole bedroht wird, spielen Waffen in diesem Tatort eigentlich keine Rolle.

Das ist in Der große Schmerz etwas anders. Auch hier sehen wir einen Hamburger Hauptkommissar, aber wie hat er sich verändert. ➱Lederjacke statt Anzug. Und Pistole statt Zigarre. Von der Pistole wird Nick Tschiller alias Til Schweiger auch Gebrauch machen. Da können wir sicher sein. Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht hat, einen Schuss daraus abzugeben, hat Tschechow gesagt. In seinem ersten Tatort Willkommen in Hamburg (damals der teuerste Tatort aller Zeiten) gab es sieben Leichen, ein Jahr später in Kopfgeld schon neunzehn Leichen. Und teurer war der Tatort auch. Wahrscheinlich werden hier die Gagen nach dem Bodycount Prinzip gezahlt.

Das war aber noch nicht genug, in dem wegen der Ereignisse in Paris nicht gesendeten Tatort Der große Schmerz gab es siebenundvierzig Tote. Helene Fischer spielt darin eine Killerin - uns bleibt nichts erspart. Die Produzenten waren wahrscheinlich traurig, dass der Filmtitel Leichen pflastern seinen Weg schon vergeben war. Siebenundvierzig (oder waren es fünfzig) Tote gab es auch schon in dem Tatort Im Schmerz geboren mit Ulrich Tukur. Dafür gab es den Grimme Preis. Weshalb man für so etwas den Grimme Preis bekommt, weiß ich wirklich nicht. Vielleicht ist es doch keine so dolle Sache, auf der ➱Vorschlagsliste für den Grimme Preis zu stehen.

Nach Willkommen in Hamburg sagte der NDR Intendant Lutz Marmor (der jetzt auch der Vorsitzende der ARD ist) auf die Frage des Hamburger Abendblatts, ob ihm der Til Schweiger Tatort gefallen hätte: Ich fand ihn gelungen. Dass so viele Menschen zugesehen haben, insbesondere auch Jüngere, hat mich sehr gefreut. Auch ein Erfolgsformat wie der 'Tatort' braucht mal einen neuen Impuls. Deshalb haben wir bei diesem "Tatort" bewusst auf Action und einen Star wie Til Schweiger gesetzt, der sonst nicht in TV-Produktionen zu sehen ist. Lutz Marmor verdient 291.000 Euro. Er beweist damit wieder einmal, dass die Gehälter der Intendanten heutzutage in einem umgekehrten Verhältnis zur Qualität des Senders stehen. Die Formel stimmt nicht immer, zwar bekommt Tom Buhrow als Intendant des Westdeutschen Rundfunks 367.232 Euro im Jahr, aber das Programm des WDR ist auch besser.

Wenn man sich über diese Gehälter aufregt, dann sollte man einmal einen Blick auf die Gehälter der Kommissare im Fernsehen werfen. Die werden nämlich von den Sendeanstalten nicht wie bei der Polizei nach A12 besoldet (eine Besoldungsgruppe unter dem Studienrat), sondern bekommen, wenn sie einen großen Namen haben, so etwas wie 100.000 bis 120.000 Euro pro Folge. Til Schweiger bekommt mehr, man nimmt an, dass er 300.000 Euro pro Tatort erhält. Und bekommt vom NDR noch einen Rentenvertrag. Auf die Frage von Spiegel OnlineUm noch mal auf Til Schweiger zurückzukommen: Es soll ja nur eine 'Tatort'-Folge pro Jahr mit ihm geben. Hat man sein Engagement eigentlich auf eine bestimmte Zeit begrenzt? antwortete Christian GranderathEinen Gehirntumor, wie ihn Ulrich Tukur für seine Rolle im hessischen "Tatort" als Ausstiegsmöglichkeit mit sich herumträgt, werden wir Schweiger ganz bestimmt nicht andichten. Falls er ein biblisches Alter wie Jopie Heesters erreicht, kann er gerne auch noch im Jahr 2068 in Hamburg ermitteln.

Für den Drehbuchautor Christoph Darnstädt, dessen Mutter Kinderbücher schrieb, ist Til Schweiger ein Held. Der Mediendienst Teleschau urteilte über Der große SchmerzFür Männer mit überdurchschnittlich hohem Testosteronspiegel und postpubertären Gewaltfantasien ist das alles ganz fraglos ein Fest. Alle anderen schalten besser beizeiten das Hirn aus. Und das Fernsehen gar nicht erst an. Allerdings ist das alles mit dem Geld der Hörer bezahlt worden, und man wagt es überhaupt nicht, das Wort vom Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender auszusprechen. Vom Volk bezahlte Verblödung betitelte vor Jahren Jens Jessen seinen ➱Artikel in der Zeit.

Aus Respekt vor den Opfern der grausamen Anschläge von Paris haben wir die Premiere der 'Tatorte' mit Til Schweiger auf das kommende Jahr geschoben, sagte der NDR Programmdirektor Fernsehen Frank Beckmann. Es passt einfach nicht in diese Wochen, eine Krimireihe zu zeigen, in der es auch um einen terroristischen Angriff geht. Und statt jetzt einfach mal sein großes Maul zu halten, musste Til Schweiger wenig später dem Stern sagen: Die Terror-Anschläge in Paris haben mich unglaublich wütend, traurig und fassungslos gemacht. Ich finde aber, wir sollten uns nicht von Terroristen diktieren lassen, wie wir leben sollen, uns nicht unsere Freiheit rauben lassen, und dazu gehört auch die, was wir im Fernsehen zeigen.

In Taxi nach Leipzig gab es keine Schießereien, es gab nur die traurige Geschichte von einem toten Kind. Die Vorlage von Taxi nach Leipzig war ein Roman von Friedhelm Werremeier, der zuerst in der Krimireihe von Richard K. Flesch bei Rowohlt erschienen war (zuerst noch unter Werremeiers Pseudonym Jacob Wittenburg). Den Hauptkommissar Trimmel hatte der NDR schon einmal auf den Bildschirm gebracht, der ➱Fernsehfilm hieß Exklusiv! (nach dem Roman Ich verkaufe mich exklusiv von Friedhelm Werremeier aus dem Jahr 1968).  Die Erstausstrahlung des Films fand am 26. Oktober 1969 in der ARD statt. Exklusiv! wurde nachträglich in die Tatort Serie eingereiht und als Folge 9 der Reihe im Juli 1971 ausgestrahlt. In Exklusiv! trägt Kommissar Trimmel schon sein blaues Hemd, das ihn mit diesem Gangsterlook ein wenig wie Jean Gabin in Pépé le Moko aussehen lässt.

Taxi nach Leipzig war eine Romanverfilmung. Das ist außer Mode gekommen (die Kluftinger Krimis haben keinen Platz im Tatort bekommen), heute hat man Drehbuchautoren. Einen habe ich mal kennengelernt. Ich sah den weißen TR4, den mein Bruder gerade verkauft hatte, immer bei meinem Bierhändler stehen. Als ich das meinem Bruder sagte, brachte er mit einen großen Karton mit Ersatzteilen und das Owner's Manual und sagte mir, ich solle das mal dem neuen Besitzer bringen. Der Bierhändler wusste, wo der Mann wohnte. Leider wohnte der im vierten Stock, der Karton mit den Ersatzteilen war sehr schwer. Wir hatten dann aber einen netten Nachmittag. Er hatte gerade sein zweites Tatort Drehbuch an die ARD verkauft und hatte sich diesen TR4 gegönnt, den auch Catherine Deneuve in Polanskis Ekel fährt (und den auch die englische Polizei einmal als Dienstwagen einsetzte). Damals kannte ihn noch niemand, heute ist er groß im Geschäft.

Und da wir gerade bei Automobilen sind: in den deutschen Tatorten gibt es wenig Exotisches. Trimmel fährt einen Ford Taunus, das passt zu ihm. Exotischer ist da schon der weiße Porsche 356 C, den der Zollfahnder Kressin fährt. Aber der ist wahrscheinlich nur ausgeliehen. Ulrich Tukur fährt mal einen ➱Ro80, doch da hört es auch schon auf.

So schöne Autos wie Columbo (Peugeot 403 Cabriolet) oder ➱Morse (Jaguar) haben sie alle nicht, nur wenn sie sich mal was aus der Asservatenkammer leihen. Es wäre schön wenn man Til Schweiger einen Opel Manta als Dienstwagen gegeben hätte, denn in dem Film Manta, Manta, da war er ganz er selbst. In der Fernsehwerbung macht Schweiger ➱Autos kaputt. Er ist der Nachfolger von Dieter Bohlen als Gesicht der VHV Versicherung.

Alle Schauspieler in Taxi nach Leipzig kamen vom Theater (auch Günther Lamprecht, der in einer Nebenrolle als Vopo gleich am Anfang des Films zu sehen ist). Walter Richter war Staatsschauspieler und Kammerschauspieler in München. Hans Peter Hallwachs kannte ich noch von der Bühne in Bremen zu Zadeks Zeiten, mein witziges Erlebnis mit Hallwachs und Bruno Ganz bei der Hamlet Aufführung habe ich schon in den Post ➱Richard Lester hineingeschrieben

Und dann war da noch Renate Schroeter, für die schwärmte ich damals sowieso. Es ist sicher etwas anderes, wenn richtige Schauspieler von der Bühne in einem Fernsehfilm auftreten, statt der üblichen bekannten Seriendarsteller, die nur im Fernsehen groß geworden sind. Taxi nach Leipzig war der erste Film des studierten Juristen Peter Schulze-Rohr, der zuvor Chefdramaturg beim Südwestfunk und Redakteur und Regisseur beim NDR gewesen war. Dies war solides deutsches Handwerk, ohne Blutbad und Leichen. Aber so sind die Filme der Serie Tatort leider nicht geblieben.

Ist der Krimi ein Psychogramm der Gesellschaft? Siegfried Kracauer hat es mit seinem Buch From Caligari to Hitler: A Psychological History of the German Film vorgemacht, dass man Filme so lesen kann. Es wäre eine interessante Sache, einmal die Tatort Folgen aus den letzten 45 Jahre auf ihre transportierte Ideologie, ihre Darstellung der Gesellschaft und ihre Helden zu untersuchen. In Taxi nach Leizig konnte man ein Deutschland von 1970 durchaus wieder erkennen, wenn man so will, sogar zwei Deutschlands.

Nicht jedes Drehbuch, jede Geschichte, jedes Thema ist gleich gut oder reizt einen. Aber wenn man den Tatort mit anderen Serien vergleicht, ist er immer noch deutlich realistischer, vielfältiger und politischer. Ob Kindesmissbrauch, Asylrecht, Kriegseinsatz in Afghanistan, der Umgang mit Neuen Medien, die alternde Gesellschaft oder Fußball – was politisch relevant ist, kommt auch vor. Und zwar nicht nur in den schicken Münchener Gegenden, die man von Derrick kennt sondern in Ludwigshafen am Rhein, in Münster, Kiel, Berlin oder München. Das ist schon ziemlich konkurrenzlos. Der Mann, der hier über die Sendung Tatort redet, ist kein Intendant oder Programmdirektor. Er ist Politiker und ist sehr, sehr stolz auf seine Sammlung von Tatort Sendungen, er hat sie alle. Ansonsten sind seine intellektuellen Interessen eher gering. Er ist einer von uns.

Tatort Sendungen sind natürlich nicht die Realität, die Reihe ist ein Kunstprodukt mit eigenen Regeln. Wie Detektivromane. In ihrem Buch The Long Week-End haben Robert Graves und Alan Hodge (der Ghostwriter von Winston Churchill) den wunderbaren Satz Detective novels, however, were no more intended to be judged by realistic standards than one would judge Watteau's shepherds and shepherdesses in terms of contemporary sheep-farming mit leichter Hand dahingeworfen. Auch der Tatort hat nicht mit der wirklichen Polizeiarbeit und dem wirklichen Verbrechen zu tun, wenn Sie den ➱Artikel Der Fall 'Tatort' von Sabine Rückert lesen, wissen Sie alles darüber.

Tatort: ein Kunstprodukt mit eigenen Regeln. Wir können auch den Begriff des Genres ins Spiel bringen. Und den schönen Satz von Raymond Chandler zitieren: To accept a mediocre form and make something like literature out of it is in itself rather an accomplishment. Das wäre es doch - den Tatort als Form akzeptieren wie er ist und ihn filmisch und schauspielerisch besser zu machen. Denn das Genre hat sich totgelaufen. Oder wie Gustl Bayrhammer (der den Hauptkommissar Veigl spielte) bei seinem Abgang so treffend sagte: Des Krimifach, des is doch scho lang a abg’mahte Wies’n. Doa passiert nix mehr. Doch Qualität wollen die Intendanten und Programmdirektoren nicht, sie setzen lieber auf den Genremix (ich habe darüber schon böse Worte in dem Post ➱Inspector Gently gesagt), die ➱Hybridisierung des Genres.

Das Fernsehen mit seinen zu hoch bezahlten Intendanten setzt auf Quote, und Quote macht man nicht, wenn man Qualitätsfernsehen macht. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass der Bruce Willis Verschnitt Til Schweiger noch 2068 ermittelt, aber vorerst bringt er Quote. Wegen der vielen Leichen. Da greift ein Kommissar schon mal zur Panzerfaust, der typischen Dienstwaffe von Hamburger Hauptkommissaren, damit das mit dem Bodycount in den Programmzeitschriften auch stimmt.

Die Rachetragödien des elisabethanischen und jakobäischen Zeitalters brachten sicher auch Zuschauer. Sie kommen in den letzten Jahren vermehrt auf englische Bühnen (Although it is four centuries since revenge tragedies like this first appeared on stage, they have lost little of their charge. And it seems we can't get enough of them, schrieb der Guardian). Und kommen im Film besonders gut rüber, wenn man sie noch mit einer nackten ➱Charlotte Rampling (in Addio, fratello crudele, einer italienischen Verstümmelung von 'Tis Pity She's a Whore) garnieren kann. Der englische Regisseur Declan Donnellan, der zahlreiche dieser Stücke inzeniert hat (auch 'Tis Pity She's a Whore), sagte dazu: A really good horror reminds you that you're not just the victim; you're also the monster. Psycho is a great film because of the very subtle shifts of identification. You're not just the woman who is murdered in the shower, you're also the murderer. It's entertainment at the deepest level.

Die Schamfrist der ARD, der Respekt vor den Opfern der grausamen Anschläge von Paris, geht im Januar zu Ende. Dann kann man die ersten beiden Teile von Til Schweigers Gemetzel sehen. Und wer es bis dahin nicht aushält, der kann sich ja all die Snuff, Gore und Slasher Filme ansehen, die das Internet zu bieten hat. Wir sollten uns nicht von Terroristen diktieren lassen, wie wir leben sollen, uns nicht unsere Freiheit rauben lassen, und dazu gehört auch die, was wir im Fernsehen zeigen. ➱Goya hat gesagt El sueño de la razón produce monstruos, der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.