Montag, 17. Juni 2024

Roadkill

Das Buch war nicht an seiner Stelle. Das beunruhigte mich nicht sonderlich, mein eigenes Bibliotheksordnungsystem ist nicht das beste, und es sind einfach zu viele Bücher. Ich brauchte ja auch nur den Titel, den würde ich mit Google schon finden. Das Buch hatte mir mal mein Freund Voker Behrens geschenkt, es war ein satirisch böses Buch. Es zeigte, schwarz-weiß im Schattenriss, plattgefahrene Tiere auf amerikanischen Highways. Also gab ich bei Google roadkill ein. Und merkte gleich, dass das ein Fehler war. Alles war vollgemüllt mit Helene Hegemann. Kennen Sie nicht? Deutschlands siebzehnjähriger shooting star, deren Roman Axolotl Roadkill von den Rezensenten in die Nähe von Ilias und Odyssee gerückt wurde, nur mit mehr F-Wörtern drin. Also gaaanz großartig. Nur leider überall geklaut. Aber das macht ja nix. Wenn die Heißluftmaschinen des Feuilletons erstmal angelaufen sind, dann wird alles großartig, Türme und  Feuchtgebiete. Wenn Sie wirklich mal lachen wollen, dann lesen Sie nicht, was Die Zeit über Deutschlands neuen Superstar gesagt hat, sondern das, was die 97 Rezensenten bei Amazon sagen, die dem Buch nur einen Stern gegeben haben.

Mein Gedicht heute handelt von toten Tieren. Die sind ja ein Thema der Dichtung, seit Thomas Gray eine Ode auf seine Lieblingskatze geschrieben hat, die in einer chinesischen Vase ertrank. Und wir hatten hier in diesem Blog im Januar ja schon Philip Larkins anrührendes kleines Gedicht über den Igel, den er mit seinem Rasenmäher totgefahren hatte. Mein Gedicht heute ist von William Stafford und heißt Traveling Through the Dark. Es ist das Titelgedicht einer Sammlung, für die Stafford 1963 den National Book Award erhielt.

Traveling through the dark I found a deer
dead on the edge of the Wilson River road.
It is usually best to roll them into the canyon:
that road is narrow; to swerve might make more dead.

By glow of the tail-light I stumbled back of the car
and stood by the heap, a doe, a recent killing;
she had stiffened already, almost cold.
I dragged her off, she was large in the belly.

My fingers touching her side brought me the reason -
her side was warm; her fawn lay there waiting,
alive, still, never to be born.
Beside that mountain road I hesitated.

The car aimed ahead its lowered parking lights;
under the hood purred the steady engine.
I stood in the glare of the warm exhaust turning red;
around our group I could hear the wilderness listen.

I thought hard for us all - my only swerving -,
then pushed her over the edge into the river.

Wir sind in Oregon, da wo Stafford jahrelang am Lewis and Clark College unterrichtet hat. Für die Situation, da man ein totes Tier auf der engen Gebirgsstrasse findet, scheint es klare Regeln zu geben: it is usually best to roll them into the canyon. Denn to swerve might make more dead. Klingt nur vernünftig. Die Regeln in der Natur werden heute vom Auto und vom Autofahrer gemacht. Aber hier zögert der Fahrer. Zwar ist die Hirschkuh tot, aber das Kitz in ihrem Bauch lebt noch. Was soll er tun? Kann er das Tier ins Auto laden? Gibt es einen Tierarzt in der Nähe? Das Auto will weiter, der Motor bekommt etwas Tierähnliches (under the hood purred the steady engine), die Natur scheint zu warten. Was wird er tun? Für den Dichter Richard Hugo, der die Sentimentalität des Gedichtes beklagte, ist alles klar: Stop thinking hard for us all, Bill, and get that damned deer off the road before somebody kills himself. Richard Hugo war Bombenschütze bei der U.S. Air Force im Zweiten Weltkrieg. Stafford hat den Kriegsdienst verweigert und Zivildienst geleistet, für ihn ist das nicht so einfach. Aber ist dies wirklich ein sentimentales Gedicht? Rod McKuens Thoughts on Capital Punishment, in dem er die Todesstrafe für Autofahrer fordert, die Katzen überfahren, ist ein sentimentales Gedicht. Deshalb verwenden es wahrscheinlich so viele amerikanische Lehrer im Unterricht. Da kann Alf, das liebenswerte Wesen vom Planeten Melmac, nur froh sein, dass McKuen nicht auch noch über ihn geschrieben hat. Wo er doch Katzen liebt, aber anders als Rod McKuen.

Aber im Ernst, William Staffords Gedicht ist ebenso wenig sentimental wie Philip Larkins The Mower. Es ist ein Gedicht voller Emotionen, aber es ist nicht sentimental. Es wirft uns nur in eine Situation, in der wir could hear the wilderness listen. In der wir uns klar werden, dass es noch eine andere Welt als die des Automobilverkehrs gibt, in der wir erkennen, wie weit wir uns von der Natur entfernt haben. Das Gedicht kommt einfach daher, so einfach wie die Gedichte von Robert Frost, mit dem Stafford häufig verglichen worden ist. Aber es täuscht uns ein wenig mit seiner Einfachheit, es ist sehr kunstvoll konstruiert mit seiner Balance zwischen Mitgefühl und Vernunft in einer world remade by Ford and General Motors. Stafford erinnert in seinen Gedichten immer wieder an die verloren gegangene Natur. So in Written on the Stub of the First Paycheck (1966):

Gasoline makes game scarce.
In Elko, Nevada, I remember a stuffed wildcat
someone had shot on Bing Crosby's ranch.
I stood in the filling station
breathing fumes and reading the snarl of a map.

Eine ausgestopfte Wildkatze in einer Tankstelle voller Benzingeruch und eine Autokarte, die das Geräusch eines wilden Tieres wiedergibt, verdichteter lässt sich der Konflikt zwischen Natur und Maschine kaum darstellen.

Auf der Seite www.roadkilltoys.com kann man Spielzeugtiere kaufen, die aussehen, als seien sie von einem Auto überfahren worden. Das ist schon pervers.

Françoise Hardy und die Autos

Also, ich hätte es nicht gewusst, aber wozu hat man Freunde, die alles über Autos wissen. Oder alle Autos selbst haben, wie Keith hier mit seinem Jaguar E Type. Ich fand dieses Bild auf einer Seite des Guardian, die Hombre mir geschickt hatte. Lauter Photos von Françoise Hardy. Oben drüber war dieses Photo, wie sie 1960 in London am Piccadilly Circus aus einem Auto steigt. Im Miniskirt, das ist damals große Mode (der Link führt Sie natürlich zu Mary Quant). Schöne Frau, schönes Auto. Aber was war das für ein Auto? Kaum hatte ich die Mails losgeschickt, hatte ich schon die Antwort. Es ist ein Lancia Flaminia Coupé (benannt nach der Via Flaminia) von der Carrozzeria Touring.

Marcello Mastroianni hatte auch einen Lancia Flaminia. Nicht nur das, er machte auch noch für das Auto Reklame. Flaminia, l'altro amore di Marcello, war das betitelt. Wenn das Auto seine zweite Liebe war, wer war dann die erste? War es Catherine Deneuve, mit der er vier Jahre zusammenlebte und mit der er eine Tochter hatte? Wenn Sie Catherine Deneuve im Auto sehen wollen, dazu gibt es hier schon einen Post. 

Françoise Hardy hatte mal einen Ferrari 275 GTS. Und auch mal einen Rolls Royce Silver Cloud, zweifarbig, hellblau mit dunkelblauer Motorhaube und dunkelblauem Dach. Irgendwie scheußlich. Viel zu groß für sie. Da fragt man sich, was macht die lütte Deern mit dem großen Auto? Sie ist mal in London mit einem Mini photographiert worden, das sah besser aus. Aber im Showgeschäft muss es irgendwann ein Rolls sein. Michael Caine kaufte sich einen, als er noch nicht mal einen Führerschein hatte. Lesen Sie mehr dazu in dem Post Luxuskutschen

Das einzige Bild, das mich mit einem Bentley (British Racing Green) zeigt, ist leider auf dem Übertragungswege vom I-Phone zum Computer verloren gegangen. Sonst würde ich das hier einstellen. Wem der einzige Bentley in Bremen vor sechzig Jahren gehörte, das weiß ich, weil ich die Familie kannte. Aber wem der weiße Facel Vega vor einer Osterdeich Villa gegenüber vom Weserstadion gehörte, das habe ich nie herausbekommen. Françoise sah in ihrem großen Rolls natürlich viel besser aus als ich mit dem Bentley.

Bei den Dreharbeiten von John Frankenheimers Film Grand Prix hat sie mal in einem Formel 1 Rennwagen gesessen. Hatte eine kleine Nebenrolle als Boxenluder. Hat den Helm von James Garner getragen. Yves Montand gibt hier der jungen Kollegin noch Ratschläge. Aber wirklich ein Rennen ist sie mit dem Boliden nicht gefahren. Yves Montand hatte einen Ferrari, aber im Film sieht er am besten mit einem Facel Vega aus, diesem Auto, in dem Albert Camus gestorben ist. Françoise Hardy soll auch mal einen Facel Vega gehabt haben, aber dafür finde ich keine Beweise. Françoise Sagan verunglückt in dem Film Bonjour Sagan mit einem Facel Vega, im wirklichen Leben fuhr sie andere Autos zu Schrott.

Besser als der Rolls Royce gefällt mir für Françoise der Citroen CX, für den sie mit ihrem Verlobten Jacques Dutronc (der hier zu sehen ist) Werbung machte. Den Text und die Gestaltung hatte Dutronc entworfen. Der übrigens im letzten Jahr wieder eine Werbeaktion für den neuesten Citroen präsentierte. Der niedliche Bobtail ist wohl nur zu Dekoration da, ich habe noch nie ein Photo von ihr und einem Bobtail gesehen. 

Für die Firma Citroen hat Louis Malle mal einen Dokumentarfilm gedreht. Und er hat einmal gesagt: Wenn man in einem Bentley fahren gelernt hat, tritt der Wunsch nach einem Rolls-Royce etwas in den Hintergrund. Er kam aus einer sehr reichen Familie, er kannte die Bourgeoisie, die er in seinen Filmen beschrieb. Alte französische Filme sind ja eine Fundgrube für Nebensächlichkeiten. Also für Cinéasten, die den Film schon x-mal gesehen haben und nicht mehr auf die Handlung achten. Dann achtet man nur noch auf Klamotten und Autos. Und schöne Frauen wie Françoise Hardy. Auch auf ihrer Honda CB750 mit dem Pariser Kennzeichen sah sie sehr gut aus. 


Zum Thema Frauen und Autos gibt es noch mehr in den Posts: automobiliaMercédèsdie Zukunft: nackt und blindSomewhere West of Laramie und Reste