Freitag, 6. Dezember 2024
Keith R. Kernspecht ✝
Dienstag, 8. Oktober 2024
Blechgöttin
Obgleich das alte schwarze Gangsterauto für alle französischen Krimis toll war, kommt jetzt dank Flaminio Bertonis Design die ganz neue Zeit - passend zum nouveau roman und der nouvelle vague. Keine großen Rohre mehr, wie an Marinettis idealem Rennwagen. Stattdessen Stromlinie und Hydropneumatik (so etwas Ähnliches hatte der Borgward später auch). Und die Scheinwerfer, an die Lenkung gekoppelt, leuchteten um die Ecke. Roland Barthes hat in seinem Buch Mythologies eine Liebeserklärung an die →Déesse gerichtet, wofür ihm die Firma Citroen sofort ein Exemplar hätte schenken müssen.
Als die Déesse neu war, schaute man gebannt zu, wie sie sich absenkte, nachdem der Fahrer den Wagen verlassen hatte. Allein, mit der Zeit verlor diese Neuigkeit ihren Reiz, und so toll sah sie ja auch nicht aus. Mit einem →Facel Vega konnte die Göttin nun überhaupt nicht konkurrieren. Die Firma Facel Vega gehörte Jean Daninos, der 1928 bei Citroen als Ingenieur angefangen hatte und auch an der Entwicklung des Modells Traction Avant beteiligt gewesen war. Sein Bruder Pierre Daninos kommt hier schon in dem Post Engländer vor. Albert Camus hat mehrere Traction Avant Modelle besessen, er war damit zufrieden. Als er den Nobelpreis bekam, rief ihn sein Autohändler an und wollte ihm eine Déesse verkaufen.
Das Zitat von Barthes über die Déesse geht folgendermaßen weiter: Deshalb interessiert man sich bei ihr weniger für die Substanz als für ihre Verbindungsstellen. Bekanntlich ist das Glatte immer ein Attribut der Perfektion, weil sein Gegenteil die technische und menschliche Operation der Bearbeitung verrät: Christi Gewand war ohne Naht, wie die Weltraumschiffe der Science-Fiction aus fugenlosem Metall sind. Die DS 19 erhebt keinen Anspruch auf eine völlig glatte Umhüllung, wenngleich ihre Gesamtform sehr eingehüllt ist, doch sind es die Übergangsstellen ihrer verschiedenen Flächen, die das Publikum am meisten interessieren. Es betastet voller Eifer die Einfassungen der Fenster, es streicht mit den Fingern den breiten Gummirillen entlang, die die Rückscheibe mit ihrer verchromten Einfassung verbinden. Wenn die Franzosen mal gedanklich abheben, dann aber richtig. Ich finde das mit dem Gewand Christi und den Raumschiffen der Science Fiction ein klein wenig gewagt. Und wieder einmal entfernt sich der Mann, der sechzig Jahre bei Mammi gelebt hat, in seinen Gedankenflügen ein bisschen von der Erde. Ich sage jetzt über französische →Automobile der fünfziger und sechziger Jahre (und siebziger etc) nur ein einziges Wort: Spaltmaße!
Montag, 26. August 2024
Autogeschichten
In dem Post völlig vergessen habe ich darüber geschrieben, dass ich meinen vor Jahren begonnenen Blog über Autos, den man unter automobilia findet, völlig vergessen hatte. Ich bin inzwischen beinahe damit fertig, alle verlorengegangenen Bilder und Links zu restaurieren. Als ich den viel gelesenen Post Françoise Hardy und die Autos geschrieben hatte, wo Françoise so elegant aus einem Lancia stieg, bekam ich Post von Wolfgang Butt, der auch einen Lancia besitzt. Den ehemaligen Skandinavistik Professor, der die halbe schwedische Literatur übersetzt hat, habe ich schon mehrfach erwähnt, zuletzt wohl in dem Post Nordic Noir. Er schickt mir manches vorbei, was er geschrieben hat. Das kleine Stück Literatur mit dem Titel Last Exit, das er mir letztens schickte, hat mich umgehauen. Ich schreibe viel, aber was er schreibt, ist richtige Literatur. Wie dies schöne Gedicht, in dem sein Lancia vorkommt. Es heißt kurzer halt am straßenrand:
gewundenen straße zwischen
sonnenblumenfeldern bei
flirrender hitze und chris reas
still holding on weil du mal wieder
nicht weißt wohin mit dir
sentimentaler esel halt an heul dich aus
auch heute wird deine richtungslose
dankbarkeit keinen abnehmer finden
lass die luft aus deinem blauen ballon
hast du nicht schon im ersten jahr englisch gelernt
you can‘t have the cake and eat it
und du kennst das prozedere
der spielverderber vom dienst wird
sich pflichtgemäß melden mit seiner
miesmacherei die alles durchdringt
dem faktencheck der vor nichts haltmacht
selbst deine hehren momente hinterfragt
dass dich die scham befällt mensch zu sein
und diesen ort nicht so zu hinterlassen
wie du ihn vorfandst bei deinem auftritt
zu neandertalers zeiten trauerst
um die bäume blumen gräser die du
zertrittst im besten einvernehmen mit dir
selbst die schmetterlinge hummeln die
an deiner windschutzscheibe jäh
ihr leben geben für dein weiterkommen
oder bemitleidest du dich selbst weil du
nicht weißt wohin mit deinen füßen unfähig
engelgleich zu schweben aber das wusstest du doch
weichei du dass wo gehobelt wird da lass dich
ruhig nieder denn was nicht passt wird
passend gemacht und niemand
hält die späne die da fallen unendlich
sanft in seinen händen aber haben wir
nicht laubbläser im angebot buschfräsen
chemikalien die unsere erträge steigern
nicht zu vergessen die rücknahmegarantie
von altgeräten zur fachgerechten entsorgung
abseits der kreuzfahrerrouten oder dieser
landstraße wenig befahren geheimtipp
zwischen weinbergen sonnenblumenfeldern
und während du noch am straßenrand stehst
dir die augen reibst tief durchatmest
bevor du weiterfährst in deinem geliebten
vierzig jahre zurückgebliebenen lancia hpe
hat chris rea den ton gewechselt singt
jetzt sein paradestück the road to hell
.... Nach Jahrzehnten mit verschiedenen Golfs kaufte ich mir das neueste Golf Modell, dem ich den Namen Moonlightblue gab, weil die Farbe des Autos so hieß. Schön, elegant, praktisch. Das beste war die blaue Instrumentenbeleuchtung in der Nacht. Die passte zu dem ✺VW Video, in dem Nick Drake Pink Moon singt. Aber sonst war der Wagen langweilig. Die Romantik des Autofahrens, zu der auch der Reifenwechsel im strömenden Regen an der B 404 gehörte und dass einem der halbe Wagen von den sächsischen Grenztruppen bei der Einfahrt in die DDR zerlegt wurde, nachdem sie Gänsefleisch mal den Kofferraum aufmachen gesagt hatten, ist irgendwie dahin. Ist nix mehr mit Vorglühen und Zwischengas. In einer öden Gegend auf den ADAC warten. Ich kann nicht mehr hinten im R4 von Götz die Autobahn von Dänemark bis Kiel durch den verrosteten Boden sehen. Nicht mehr der Ingrid mal eben für fünfhundert Mark einen roten R4 kaufen, weil ihr alter grüner ständig liegen blieb. Warum sie mein Geschenk Paula genannt hat und nicht Jay, das weiß ich nicht. Die witzigen billigen Autos wie die R4s und Döschewos gibt es nicht mehr, aber es gibt an ihrer Stelle auch keine vernünftigen kleinen Autos. Der Höhepunkt der automobilen Verblödung sind Dienstwagen für Politiker und diese SUVs, die der Engländer Chelsea tractors nennt. Das hat alles keinen Stil. Dann doch lieber der alte Opel Kapitän, den Ron sich nach langem Suchen gekauft hat. Weil sein Vater 1959 das Modell gefahren hatte. Mit Weißwandreifen.
Wir hatten uns einige Zeit nicht gesehen. Ron war wohl mit dem Aufbau seiner Firma beschäftigt gewesen und war viel unterwegs. Aber an diesem schönen Sommertag saßen wir draußen vor dem Lüneburg in der Mitte der Dänischen Strasse. Ich sagte ihm, dass das eine schöne alte Bubble Back Rolex sei, die er da am Arm hätte. Er sagte mir, dass meine IWC auch toll sei. Neben ihm stand seine Neuerwerbung, ein silbergrauer Jaguar E Type. Wenn er die Hand ausstreckte, hätte er ihn streicheln können, so wie ein Italiener einer Frau auf der Straße den Po streichelt. Man darf überhaupt nicht mit einem Auto in die Dänische Straße fahren, weil das eine Fußgängerzone ist. Und man darf auch nicht in der Mitte der Straße ein Auto abstellen, damit man es von einem Stuhl des Lokals Lüneburg aus streicheln kann. Aber um solche Dinge kümmert sich Ron nicht. Wir redeten über alte Zeiten, schliesslich hatte Ron ja auch mal Englisch studiert und war mal Lehrbeauftragter gewesen. Dann wurden wir von einer eleganten Dame in Sommerkleidung angesprochen, die zuvor am Nachbartisch gesessen hatte. Sie sagte, sie hätte nicht umhin können, unserer Unterhaltung zuzuhören. Und ob das Englische Seminar, von dem wir geredet hätten, das Englische Seminar der Universität hier im Ort sei? Und ob es da einen Professor namens X gäbe? Nachdem ich das bejaht hatte und gleichzeitig rekapitulierte, ob ich in der letzten halben Stunde irgendwelche abfälligen Bemerkungen über den doofen X gemacht hatte, hörte ich von ihr Erstaunliches. Sie hatte bei X studiert (bevor er hierher kam), er hatte ihr angeboten, bei ihm Assistentin zu werden. Aber sie hatte das abgelehnt, weil sie ihn für den langweiligsten und dümmsten Menschen unter allen ihr bekannten Anglistikprofessoren hielt (das waren ihre Worte). Und sie hätte das nie bereut. Und dann sagte sie zu Ron Schönes Auto und zu mir Das ist wirklich eine tolle IWC, die Sie am Arm haben. Setzte ihren Sommerhut auf und entschwebte mit ihrem Rollkoffer zum Oslokai um die Ecke, um die Fähre nach Norwegen zu erreichen. Stilvoller Abgang.Montag, 17. Juni 2024
Roadkill
Françoise Hardy und die Autos
Zum Thema Frauen und Autos gibt es noch mehr in den Posts: automobilia, Mercédès, die Zukunft: nackt und blind, Somewhere West of Laramie und Reste