Freitag, 6. Dezember 2024

Keith R. Kernspecht ✝


Die Dänische Straße war zur Fußgängerzone geworden, die Straßenbahn, die einmal hier fuhr, gibt es schon lange nicht mehr. Keith, der in der Straße ein Büro hatte (auf dem Schild steht nur ichfahrealsobinich und autosapiens), parkte seine Corniche immer frech vor dem Herrenausstatter Kelly's, obgleich er eigentlich gar nicht in die Straße hinein fahren durfte. Aber so ein Rolls vorm Laden sieht immer gut aus und passt ins Ambiente der englischen Herrenkleidung. Wahrscheinlich bezahlte ihm Michael Rieckhof die Tickets und setzte sie als Werbungskosten ab.

Das flaschengrüne Bentley Coupé sah aus wie neu, dabei war es über dreißig Jahre alt. Die Rückleuchten verraten das, da steht noch Lucas drauf. Die Lucas Elektrik reißen Besitzer von englischen Sportwagen normalerweise immer als erstes heraus und ersetzen es durch Teile von Bosch. Aber das kann man einem Rolls nicht antun. Hinten am Heck steht ein schlichtes, silbernes CornicheDu hast doch schon eine Corniche, sage ich zu Keith. Ich habe schon zwei, ist die Antwort. Da muss mir etwas entgangen sein. Die Corniche, die er im letzten Jahr gekauft hat, war ein Cabrio. In einer Farbe, die nur Engländer hinkriegen, fliederfarben oder ein ganz helles Lila, pervers. Und dann war da dieser wunderbare handgemalte hellgrüne Zierstreifen an der Seite. Die haben bei Rolls Royce einen Coachline Painter, der nur für diese handgemalten Striche zuständig ist.

Dieser Bentley mit der Karosserie von Mulliner Park Ward ist schon wieder einer von seinen Exoten. Der Bentley war ursprünglich ein 1977er Rolls-Royce. Das würden Bremer schon wieder gut finden. Einen Rolls Royce gab es in den fünfziger Jahren in meiner Heimatstadt nicht. Nur der Werftbesitzer Ernst Burmester, der mit der Ashanti VI die größte deutsche Hochseeyacht besaß, hatte einen dunklen Bentley. Ein Rolls wäre ihm zu prollig gewesen. So etwas kann man in Hamburg fahren, sagte er, in Bremen nicht. Wahrscheinlich hat Keith deshalb auch seinen Rolls (British Racing Green) in einen Bentley umbauen lassen. Nicht nur den Kühler ausgewechselt, nein, bis in die kleinsten Einzelteile innen im Wagen.

Keith sammelte Autos. Er war keiner von diesen neureichen Sammlern, Rechtsanwälten, Ärzten oder Architekten, die sich einen Jugendtraum wahrmachen wollten und sich einen alten englischen Sportwagen kauften. Um dann nach vier Wochen später herauszufinden, dass die englische starre Hinterachse überhaupt nicht gut für die Bandscheiben ist. Nein, Keith sammelte schon seit Jahrzehnten. In den sechziger Jahren kam er mit Adenauers ausgemustertem alten schwarzen Mercedes 300 zur Uni. Hatte einen 180er Dieselmotor einbauen lassen. Wäre sonst zu teuer gewesen. Er fiel mit dem Auto auf. Es gab wenig Studenten, die mit dem Auto zur Uni kamen. Die Straßenbahn, die auch durch die Dänische Straße fuhr, fuhr direkt bis zur Uni. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit ihm zusammen gerade noch eben fahrbereite Autos in Schuppen und Scheunen in Ostholstein bugsiert habe. Die Schuppen mietete er billig von Bauern an; dann kam da massenhaft Heu und Stroh drüber, damit niemand auf den ersten Blick sehen konnte, was hinter dem Scheunentor war. Das, und der schwarze Mercedes 300, waren der Beginn seiner Sammelleidenschaft.

Es waren die kleinen Exoten, die ihm am meisten Spaß bereiteten. Wie der alte Opel Kapitän (das Modell Schlüsselloch), den sein Vater 1959 gefahren hatte. Mit Weißwandreifen. Oder der ✺Opel Kadett B, das Sondermodell Rallye. Den großen Borgward P 100, den er in Berlin in einer Tiefgarage fand, den sollte ich nicht vergessen. Hatte da ein halbes Jahrhundert gestanden, es war noch Luft in den Reifen. Von Zeit zu Zeit trennte er sich von einigen Modellen. 

Dass er den Dino GTS Targa verkaufte, fand ich nicht so schlimm. Dass er den Cadillac Eldorado verkaufte, fand ich gut. Das war kein Auto für ihn gewesen. Dass er den schönen dunkelblauen Aston Martin, mit dem Sean Connery mal eine Probefahrt gemacht hatte, bei Sotheby's zur Auktion gab, das fand ich ein wenig traurig. Aber er nahm den Wagen dann doch aus der Auktion wieder heraus und behielt ihn. Ein Kultauto sollte man immer behalten. Vor allem, wenn man wie er in jedem James Bond Film das Double von Sean Connery hätte spielen können.

Er besaß allerdings keinen Bristol und keinen Alvis, damit zog ich ihn von Zeit zu Zeit auf. Den Jaguar, den der dänische König fuhr, hätte er ohne zu zögern gekauft. Würde wahrscheinlich einen seiner drei Daimler Double Six (von denen kann man nicht genug haben) dafür in Zahlung geben. Einmal treffe ich Keith im Laden meines Uhrmachers, ich hatte ihm den Kauf einer seltenen Fliegeruhr vermittelt, mit einem Chronographenwerk der Geneva Sport Watch Company. Signiert Wempe (obgleich die nicht mal wussten, dass sie so etwas mal gebaut hatten). Aber die lässt er jetzt im Laden liegen und schleppt mich im Gewitterregen die Holtenauer entlang bis zu seinem neuen Ferrari. Wasserglänzend in einem eleganten Grau, auf dem sich das gelbe Ferrari Wapperl mit dem schwarzen Pferd abhebt. Ingridgrau, sage ich. Er guckt mich etwas irritiert an. Ich erkläre ihm, dass Roberto Rossellini für Ingrid Bergman einen Ferrari gekauft hatte, der unbedingt grau sein sollte. Die Farbe hatte es bei Ferrari vorher noch nie gegeben, und so haben sie sie Ingridgrau getauft. Ist als Nuova Grigio Ingrid immer noch im Angebot. Ferraribesitzer können von Filmfreaks immer noch etwas lernen.


Ich habe von ihm auch etwas gelernt. Nicht die Martial Arts, in denen der Gründer der EWTO ein hoch dekorierter Großmeister war. Aber er schenkte mir immer seine Bücher, immer mit persönlicher Widmung. In einer Widmung hat er mich als seinen Sifu bezeichnet, ein Sifu ist in dieser Welt ein Lehrer, ein väterlicher Freund. Das hat mich sehr berührt. Seine Bücher kann man auch lesen, wenn man mit Bruce Lee, Jackie Chan und asiatischer Philosophie überhaupt nichts am Hut hat. Ich las mich hinein in eine fremde Welt, die in seinen Pyjama Editorials aus ostasiatischer Philosophie, der Philosophie der alten Griechen und dem Common Sense der schottischen Aufklärung bestand. Und lernte, dass dieses Wing Tsun eigentlich keine Kampfsportart ist, sondern eine Philosophie zur Vermeidung des Kampfes. Keith hat viel dafür getan, diesem Kampfport einen akademischen Unterbau zu verleihen. Dafür hat er einen Doktortitel und einen Professorentitel von bulgarischen Sportuniversitäten erhalten. Nicht weil er den zehnten Meistergrad des Wing Tsun besaß, sondern weil er wirklich eine Dissertation und eine Habilitationsschrift verfasst hatte.

Keith war auf der Kieler Gelehrtenschule gewesen, er hatte ein großes Latinum und lernte im Alter noch Altgriechisch. Wenn Keith ein klein wenig von dem bürgerlichen Weg abkam, dann hatte das etwas mit Karl Koch zu tun. Einem Hünen, der sein Kneipenpublikum mit Versen aus der Ilias und Shakespeares Dramen unterhielt und besseres Englisch sprach als die Englischlehrer der Gelehrtenschule. Die Gymnasiasten dieser Kieler Lateinschule zählten zu seinem Fanclub. In der Kneipe verbringt der junge Keith viel Zeit, und er wird Jahrzehnte später diesem Mann mit dem Buch Karl von der Küste: Erinnerungen an den Kieler Kiez (1960-1976) mit Hauern, Huren, Hafenloddels ein Denkmal setzen. Die farbenprächtige Milieustudie ist nicht Rousseaus Les Confessions, das Buch erhebt keinen Anspruch auf literarische Qualitäten, es ist kraus und quer erzählt. Aber es bringt einem das Kiel der Nachkriegszeit zurück, wo sich nicht nur Lateinschüler, sondern auch Universitätsprofessoren auf dem Kiez einfanden.

Mein Freund Keith Ronald Kernspecht ist vor einigen Tagen im Alter von neunundsiebzig Jahren gestorben. Er war von Anfang an in meinem Blog, da ich immer wieder mal über eins seiner Autos oder eine seiner Uhren (aber nie über seine Sammlung von 50er Jahre Mickey Mouse Uhren) schreiben musste. In dem Post Traumwagen war er vor zehn Jahren mit diesem schönen Capalbio Maremma Jackett zu sehen. Zum letzten Mal war er vor drei Monaten in diesem Blog. Da stand hier in dem Post Autogeschichten ein kleines Stückchen aus meiner nie veröffentlichten Autobiographie Bremensien. Das hatte er mit Vergnügen gelesen, und er konnte sich noch genau an diesen Sommertag erinnern. Weil das auch der erste Tag war, an dem er mit seinem neuen Jaguar E Type unterwegs war. Ich stelle das heute noch einmal ein:

Ich hatte ihn längere Zeit nicht gesehen, er war nicht mehr hier oben im Norden, er war unten bei Heidelberg gewesen, wo er im Schloss Langenzell ein Wing Tsun Schulungszentrum aufgebaut hatte. Aber an diesem schönen Sommertag saßen wir wieder einmal in der Mitte der Dänischen Strasse zusammen. Ich sagte ihm, dass das eine schöne alte Bubble Back Rolex sei, die er da am Arm hätte. Er sagte mir, dass meine IWC auch toll sei. Neben ihm stand eine Neuerwerbung, ein silbergrauer 3,8 Liter Jaguar E Type. Wenn er die Hand ausstreckte, hätte er ihn streicheln können, so eine Bewegung wie ein Italiener einer Frau mit der Hand über den Po fährt. Keith hatte auch eine Wohnung in Italien, wo er er auch Lehrgänge gab, vielleicht hatte er diese Handbewegung da gesehen. Man darf überhaupt nicht mit einem Auto in die Dänische Straße fahren, und man darf es auch nicht in der Mitte der Straße abstellen, damit man es von einem Stuhl des Lokals Lüneburg aus tätscheln kann. Aber um solche Dinge kümmert sich Keith nicht. Wir redeten über alte Zeiten, schliesslich hatte Keith ja auch mal Englisch studiert und war mal Lehrbeauftragter für Wirtschaftsenglisch am Englischen Seminar gewesen. Und hatte in der 68er Tagen seinem Professor auf dessen Bitten hin die Grundkünste der Selbstverteidigung beigebracht, ich sehe die beiden KungFu Helden immer noch auf dem grünen Rasen kämpfen. Wir waren bei unserem Treffen nostalgiemäßig mitten in den alten Tagen, und ich bei der zweiten Tasse Tee, da wurden wir von einer eleganten Dame angesprochen, die zuvor an einem Nachbartisch gesessen hatte. Sie sagte, dass sie nicht hätte umhin können, unserer Unterhaltung ein wenig zuzuhören. Und ob das Englische Seminar, von dem wir geredet hätten, das Englische Seminar der Universität hier in Kiel sei? Und ob es da einen Professor namens Bö. gäbe? Nachdem ich das bejaht hatte und gleichzeitig rekapitulierte, ob ich in der letzten halben Stunde irgendwelche abfälligen Bemerkungen über Bö. gemacht hatte, hörte ich von ihr Erstaunliches. Sie hatte bei Bö. studiert, bevor er nach Kiel kam, er hatte ihr angeboten, bei ihm Assistentin zu werden. Aber sie hatte das abgelehnt, weil sie ihn für den langweiligsten und dümmsten Menschen unter allen ihr bekannten Anglistikprofessoren hielt. Und sie hätte das nie bereut. Und dann sagte sie zu Keith Schönes Auto und zu mir Das ist wirklich eine tolle IWC, die Sie am Arm haben. Setzte ihren Sommerhut auf und entschwebte zur Fähre nach Norwegen. Stilvoller Abgang. Keith guckte ihr verwundert nach und wollte wissen, wer Bö. sei. Lass uns nicht über den reden, der ist genau so doof, wie die Frau das eben gesagt hat. Lass uns über Autos reden.  

Wenn Sie Keith mit seinem Jaguar E Type durch Kiel fahren sehen wollen, dann klicken Sie hier

Dienstag, 8. Oktober 2024

Blechgöttin

Am 8. Oktober 1955 stellte die französische Firma Citroën auf dem Pariser Autosalon ein neues Automobil vor, das ganz anders aussah als die Modelle, die man zuvor gebaut hatte. Angeblich sollen am Abend des ersten Tages der Show 12.000 Bestellungen eingegangen sein, aber das ist wohl ein kleines Märchen der Werbefuzzis. Der Firmengründer André Citroën hat diesen Tag nicht mehr erlebt, aber er hatte 1932 den italienischen Designer →Flaminio Bertoni eingestellt, der das Gesicht der Marke für ein Vierteljahrhundert prägen sollte und für das Design der DS 19 verantwortlich war.

Bertoni hatte für Citroen 1934 den Traction Avant und 1948 den Deux Chevaux entworfen (der natürlich mehr als zwei PS hatte, das mit den zwei Pferden bezieht sich auf die Steuerklasse). Der Citroen Traction Avant war ein Auto, das den schönen Beinamen Gangsterauto hatte. Wir kennen es auch vielen französischen Gangsterfilmen. Und man konnte auch aus la traction das Wort l'attraction bilden. Aber nun kommt die neue Zeit. Jetzt konnte sie jeder am 8. Oktober 1955 sehen: die Göttin. Aus der internen Modellbezeichnung DS wurde La Déesse

Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen ... ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake, hieß es ein halbes Jahrhundert zuvor in Marinettis Manifest des Futurismus. Das da links ist Marinetti mit seinem neuen Auto, das überhaupt nichts von der Nike von Samothrake an sich hatte - und er konnte auch überhaupt nicht damit umgehen. Zwischen den Worten des Dichters und der automobilen Realität sind doch Welten.

Obgleich das alte schwarze Gangsterauto für alle französischen Krimis toll war, kommt jetzt dank Flaminio Bertonis Design die ganz neue Zeit - passend zum nouveau roman und der nouvelle vague. Keine großen Rohre mehr, wie an Marinettis idealem Rennwagen. Stattdessen Stromlinie und Hydropneumatik (so etwas Ähnliches hatte der Borgward später auch). Und die Scheinwerfer, an die Lenkung gekoppelt, leuchteten um die Ecke. Roland Barthes hat in seinem Buch Mythologies eine Liebeserklärung an die Déesse gerichtet, wofür ihm die Firma Citroen sofort ein Exemplar hätte schenken müssen.

Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gothischen Kathedralen ist. Ich meine damit: Eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und die in ihrem Bild, wenn nicht überhaupt im Gebrauch von einem ganzen Volk benutzt wird, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet und aneignet. Der neue Citroën fällt ganz offenkundig insofern vom Himmel, als er sich zunächst als ein superlativisches Objekt darbietet. Man darf nicht vergessen, dass das Objekt der beste Bote der Übernatur ist: es gibt im Objekt zugleich eine Vollkommenheit und ein Fehlen des Ursprungs, etwas Abgeschlossenes und etwas Glänzendes, eine Umwandlung des Lebens in Materie (die Materie ist magischer als das Leben) und letztlich ein Schweigen, das der Ordnung des Wunderbaren angehört. Die „Déesse“ hat alle Wesenszüge (wenigstens beginnt das Publikum, sie ihr einmütig zuzuschreiben) eines jener Objekte, die aus der Welt herabgestiegen sind, von denen die Neomanie des 18. Jahrhunderts und die unserer Science-Fiction genährt wurden: Die Déesse ist zunächst ein neuer Nautilus.

Bei Marinetti war es noch die Nike von Samothrake, jetzt wird das Automobil zur gotischen Kathedrale. Von den Schriftstellern können die Werbeabteilungen noch viel lernen. Roland Barthes hat viele amüsante und kluge Dinge geschrieben, ich weiß nicht, ob ihn das schon wirklich zu einem Philosophen macht. Aber dieser ganze Strukturalismus mit signifiers und signs klingt natürlich gut. For Thursday, you should read the Roland Barthes essay, "The Death of the Author." In your comments I'd like you to tell me what Barthes meant to imply when he wrote, "The birth of the reader must be at the cost of the death of the Author." In case you're curious about how our man Roland actually died, here's a song from Colson Whitehead's 2001 book, "John Henry Days": 

Roland Barthes got hit by a truck
That's a signifier you can't duck
Life's an open text
From cradle to death. 

Das schreibt ein Blogger (ein amerikanischer Doktorand) und gibt seinen Lesern Hausaufgaben. Wollen Sie auch mal eben bis Donnerstag den Essay The Death of the Author lesen? Als Roland Barthes das geschrieben hatte, kursierten in Paris Witze, dass er jetzt in der Métro betteln würde, weil ihm seine Verlage keine Tantiemen mehr bezahlen. Weil er den Autor ja für tot erklärt habe. Aber Roland Barthes ist wirklich eines Tages gestorben, weil er von einem kleinen Wäschelaster angefahren wurde, es wäre noch tragischer gewesen, wenn es eine Citroen Déesse gewesen wäre. Zum Beispiel diese hier, von Pablo Picasso bemalt.

Dieses kleine Gedicht Roland Barthes got hit by a truck kommt in dem Roman John Henry Days von Colson Whitehead (übrigens ein sehr lesenswerter Roman) wirklich vor, auf der letzten Seite von Teil V. Ich weiß nicht, ob es wirklich von Colson Whitehead ist, ich kannte es schon, bevor ich den Roman gelesen hatte. Blöde Akademikerwitze kursieren immer sehr schnell, mein Seminar Englische Lyrik hat noch nicht angefangen, da hat schon ein Anonymus T.S. Eliot is an anagram for toilets an die Wandtafel geschrieben.

Als die Déesse neu war, schaute man gebannt zu, wie sie sich absenkte, nachdem der Fahrer den Wagen verlassen hatte. Allein, mit der Zeit verlor diese Neuigkeit ihren Reiz, und so toll sah sie ja auch nicht aus. Mit einem Facel Vega konnte die Göttin nun überhaupt nicht konkurrieren. Die Firma Facel Vega gehörte Jean Daninos, der 1928 bei Citroen als Ingenieur angefangen hatte und auch an der Entwicklung des Modells Traction Avant beteiligt gewesen war. Sein Bruder Pierre Daninos kommt hier schon in dem Post Engländer vor. Albert Camus hat mehrere Traction Avant Modelle besessen, er war damit zufrieden. Als er den Nobelpreis bekam, rief ihn sein Autohändler an und wollte ihm eine Déesse verkaufen. 

Er blieb dem Modell Traction Avant treu, er liebte das langsame Fahren. Er hat seinen Autos auch Namen wie Desdemona oder Penelope gegebenGestorben ist er in dem Facel Vega seines Verlegers Gallimard. Er hatte eine Bahnkarte für die Rückreise nach Paris von seinem gerade gekauften Landsitz im südfranzösischen Lourmarin in der Tasche. Aber dann bot ihm sein Verleger Gallimard eine Mitfahrt  mit seinem gerade gekauften Typ FV3B an. Camus hätte die Bahn nehmen sollen.

Niemand von uns Teenies, für die Autos in den fünfziger Jahren alles bedeuteten, wäre auf die Idee gekommen, den Citroen mit einer gotischen Kathedrale zu vergleichen. Einen Facel Vega mit einer griechischen Göttin schon eher. Und in den französischen Gangsterfilmen (wie hier in Jean-Pierre Melvilles Bob le flambeur) sah ein alter Citroen Traction Avant mit der Selbstmördertür einfach besser aus als die französische Flunder.

Das Zitat von Barthes über die Déesse geht folgendermaßen weiter: Deshalb interessiert man sich bei ihr weniger für die Substanz als für ihre Verbindungsstellen. Bekanntlich ist das Glatte immer ein Attribut der Perfektion, weil sein Gegenteil die technische und menschliche Operation der Bearbeitung verrät: Christi Gewand war ohne Naht, wie die Weltraumschiffe der Science-Fiction aus fugenlosem Metall sind. Die DS 19 erhebt keinen Anspruch auf eine völlig glatte Umhüllung, wenngleich ihre Gesamtform sehr eingehüllt ist, doch sind es die Übergangsstellen ihrer verschiedenen Flächen, die das Publikum am meisten interessieren. Es betastet voller Eifer die Einfassungen der Fenster, es streicht mit den Fingern den breiten Gummirillen entlang, die die Rückscheibe mit ihrer verchromten Einfassung verbinden. Wenn die Franzosen mal gedanklich abheben, dann aber richtig. Ich finde das mit dem Gewand Christi und den Raumschiffen der Science Fiction ein klein wenig gewagt. Und wieder einmal entfernt sich der Mann, der sechzig Jahre bei Mammi gelebt hat, in seinen Gedankenflügen ein bisschen von der Erde. Ich sage jetzt über französische Automobile der fünfziger und sechziger Jahre (und siebziger etc) nur ein einziges Wort: Spaltmaße!

Roland Barthes hat in den Jahren 1954 bis 1956 monatlich für die Zeitschrift Les Lettres Nouvelles geschrieben. Er hatte gerade den Sprachphilosophen de Saussure gelesen, und dekonstruiert jetzt die Mythen des Alltags mit Hilfe von de Saussure, Husserl, Freud und Marx. Die Franzosen haben es ja gerne kompliziert, William of Ockhams entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem gilt bei ihnen nichts. Und doch entgeht Barthes bei allen geistreichen Überlegungen das wahre Wesen des französischen Automobils. Dafür braucht man nicht so viele Wörter wie Barthes in The New Citroen. Da genügt wiederum eins: Rost. Heißt auf Französisch rouille, ist aber das Gleiche.

Das stand hier schon 2010, in meinem ersten Jahr als Blogger. Da kannten Sie mich vielleicht noch nicht. Ich habe den Text natürlich überarbeitet, ich stelle ihn deshalb ein, weil er mir immer noch gefällt.
 

Montag, 26. August 2024

Autogeschichten

In dem Post völlig vergessen habe ich darüber geschrieben, dass ich meinen vor Jahren begonnenen Blog über Autos, den man unter automobilia findet, völlig vergessen hatte. Ich bin inzwischen beinahe damit fertig, alle verlorengegangenen Bilder und Links zu restaurieren. Als ich den viel gelesenen Post Françoise Hardy und die Autos geschrieben hatte, wo Françoise so elegant aus einem Lancia stieg, bekam ich Post von Wolfgang Butt, der auch einen Lancia besitzt. Den ehemaligen Skandinavistik Professor, der die halbe schwedische Literatur übersetzt hat, habe ich schon mehrfach erwähnt, zuletzt wohl in dem Post Nordic Noir. Er schickt mir manches vorbei, was er geschrieben hat. Das kleine Stück Literatur mit dem Titel Last Exit, das er mir letztens schickte, hat mich umgehauen. Ich schreibe viel, aber was er schreibt, ist richtige Literatur. Wie dies schöne Gedicht, in dem sein Lancia vorkommt. Es heißt kurzer halt am straßenrand:

psst behalt’s für dich wenn
dir die tränen kommen auf der
gewundenen straße zwischen
sonnenblumenfeldern bei
flirrender hitze und chris reas
still holding on weil du mal wieder
nicht weißt wohin mit dir
sentimentaler esel halt an heul dich aus
auch heute wird deine richtungslose
dankbarkeit keinen abnehmer finden
lass die luft aus deinem blauen ballon
hast du nicht schon im ersten jahr englisch gelernt
you can‘t have the cake and eat it
und du kennst das prozedere
der spielverderber vom dienst wird
sich pflichtgemäß melden mit seiner
miesmacherei die alles durchdringt
dem faktencheck der vor nichts haltmacht
selbst deine hehren momente hinterfragt
dass dich die scham befällt mensch zu sein
und diesen ort nicht so zu hinterlassen
wie du ihn vorfandst bei deinem auftritt
zu neandertalers zeiten trauerst
um die bäume blumen gräser die du
zertrittst im besten einvernehmen mit dir
selbst die schmetterlinge hummeln die
an deiner windschutzscheibe jäh
ihr leben geben für dein weiterkommen
oder bemitleidest du dich selbst weil du
nicht weißt wohin mit deinen füßen unfähig
engelgleich zu schweben aber das wusstest du doch
weichei du dass wo gehobelt wird da lass dich
ruhig nieder denn was nicht passt wird
passend gemacht und niemand
hält die späne die da fallen unendlich
sanft in seinen händen aber haben wir
nicht laubbläser im angebot buschfräsen
chemikalien die unsere erträge steigern
nicht zu vergessen die rücknahmegarantie
von altgeräten zur fachgerechten entsorgung
abseits der kreuzfahrerrouten oder dieser
landstraße wenig befahren geheimtipp
zwischen weinbergen sonnenblumenfeldern
und während du noch am straßenrand stehst
dir die augen reibst tief durchatmest
bevor du weiterfährst in deinem geliebten
vierzig jahre zurückgebliebenen lancia hpe
hat chris rea den ton gewechselt singt
jetzt sein paradestück the road to hell

Das Gedicht ist in poesie.xyz, einem Magazin für Gedicht & Kommentar, erschienen. Wolfgang Butt hat vor zehn Jahren auch ein ganzes Buch über Autos geschrieben, das Ruhender Verkehr: Von Autos und Menschen heißt. Ich drucke hier mal eben den Klappentext ab: Wenn Wolfgang Butt nicht gerade Krimis von Henning Mankell oder Arne Dahl, einen Liebesroman von Per Olov Enquist oder die Stimme des Fußballstars Zlatan Ibrahimović aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzt, streift er durch die Steineichenwälder des Quercy, seiner Wahlheimat im Südwesten Frankreichs. Dabei ist der bekennende Autonarr auf überraschende Funde gestoßen: Während in den dichter besiedelten Regionen Europas die Beisetzung von Automobilen in Massengräbern auf Autofriedhöfen die Regel ist, hat sich in den ländlichen Regionen Südwestfrankreichs die Sitte der Einzelbestattung von Autos bis in die jüngste Vergangenheit erhalten. Wolfgang Butt hat diese Funde fotografisch dokumentiert. Statt jedem Auto einen eigenen Nachruf zu widmen, hat er sie mit Geschichten umgeben, die dem techniklastigen Bild der Beziehung von Auto und Mensch eine emotionale Komponente hinzufügenBorgward kommt auch drin vor, weil Wolfgang Butt mal in Bremen gewohnt hat. Eine kleine Lancia Geschichte steht auch drin. Es ist ein wirklich schönes Buch, das ich unbedingt empfehlen kann. 107 Seiten Text und wunderbare Photos. Mein alter weißer Peugeot steht offenbar auch in Frankreich irgendwo im Gebüsch. Es gibt am Ende eine Gebrauchanleitung für das Buch: Eine Rezeptur für das Mischungsverhältnis gibt es nicht. Der Leser darf in den Texten frei schalten und walten. Wer sich in sie hineinbegibt, kommt darin vor, doch nicht notwendigerweise zu Schaden. Jeder darf sich angesprochen fühlen, keiner ist gemeint.

Die Technik der Autos ist das eine, die Ästhetik das andere. Aber es ist diese emotionale Komponente, weshalb wir uns an die Autos erinnern. Man träumt ja immer von Autos, die man nie bekommt. Wie dem weißen Facel Vega, der auf dem Osterdeich stand, wenn ich zum Weserstadion marschierte, um die grün-weißen Helden meiner Jugend zu sehen. Wenn der da stand, gewann Werder immer. Oder dieser riesige Rolls Royce mit dem Pariser Nummernschild, der plötzlich in der Nacht um drei auf dem Forstweg an mir vorbeiglitt, als ich von Ako Amadis Abschiedsparty nach Hause marschierte. Er war so leise, dass man verstand, weshalb die Firma einmal Modelle auf die Namen Ghost oder Phantom taufte. Einen Rolls Royce gab es in den fünfziger Jahren in Bremen nicht. Nur der Werftbesitzer Ernst Burmester, der mit der Ashanti VI die größte deutsche Hochseeyacht besaß, hatte einen dunklen Bentley. Ein Rolls wäre ihm zu prollig gewesen. So etwas kann man in Hamburg fahren, hat er gesagt, in Bremen nicht. Wahrscheinlich hat mein Freund Ron deshalb auch seinen Rolls (British Racing Green) in einen Bentley umbauen lassen. Nicht nur den Kühler ausgewechselt, nein, bis in die kleinsten Einzelteile.

Mein Blog ist voll von kleinen Autogeschichten, von denen manche, wie Des Königs Jaguar und Cutty Sark, große Leserzahlen erreichten. In meiner bis heute nicht zuende geschriebenen Autobiographie Bremensien, von der viele kleine Teile in diesen Blog gewandert sind, gab es natürlich auch ein Kapitel über Autos. Ich stelle heute einmal den Schluss dieses Kapitels hier ein. Alles an der Geschichte ist wahr, nur die Namen sind ein wenig verändert:

.... Nach Jahrzehnten mit verschiedenen Golfs kaufte ich mir das neueste Golf Modell, dem ich den Namen Moonlightblue gab, weil die Farbe des Autos so hieß. Schön, elegant, praktisch. Das beste war die blaue Instrumentenbeleuchtung in der Nacht. Die passte zu dem VW Video, in dem Nick Drake Pink Moon singt. Aber sonst war der Wagen langweilig. Die Romantik des Autofahrens, zu der auch der Reifenwechsel im strömenden Regen an der B 404 gehörte und dass einem der halbe Wagen von den sächsischen Grenztruppen bei der Einfahrt in die DDR zerlegt wurde, nachdem sie Gänsefleisch mal den Kofferraum aufmachen gesagt hatten, ist irgendwie dahin. Ist nix mehr mit Vorglühen und Zwischengas. In einer öden Gegend auf den ADAC warten. Ich kann nicht mehr hinten im R4 von Götz die Autobahn von Dänemark bis Kiel durch den verrosteten Boden sehen. Nicht mehr der Ingrid mal eben für fünfhundert Mark einen roten R4 kaufen, weil ihr alter grüner ständig liegen blieb. Warum sie mein Geschenk Paula genannt hat und nicht Jay, das weiß ich nicht. Die witzigen billigen Autos wie die R4s und Döschewos gibt es nicht mehr, aber es gibt an ihrer Stelle auch keine vernünftigen kleinen Autos. Der Höhepunkt der automobilen Verblödung sind Dienstwagen für Politiker und diese SUVs, die der Engländer Chelsea tractors nennt. Das hat alles keinen Stil. Dann doch lieber der alte Opel Kapitän, den Ron sich nach langem Suchen gekauft hat. Weil sein Vater 1959 das Modell gefahren hatte. Mit Weißwandreifen.

Wir hatten uns einige Zeit nicht gesehen. Ron war wohl mit dem Aufbau seiner Firma beschäftigt gewesen und war viel unterwegs. Aber an diesem schönen Sommertag saßen wir draußen vor dem Lüneburg in der Mitte der Dänischen Strasse. Ich sagte ihm, dass das eine schöne alte Bubble Back Rolex sei, die er da am Arm hätte. Er sagte mir, dass meine IWC auch toll sei. Neben ihm stand seine Neuerwerbung, ein silbergrauer Jaguar E Type. Wenn er die Hand ausstreckte, hätte er ihn streicheln können, so wie ein Italiener einer Frau auf der Straße den Po streichelt. Man darf überhaupt nicht mit einem Auto in die Dänische Straße fahren, weil das eine Fußgängerzone ist. Und man darf auch nicht in der Mitte der Straße ein Auto abstellen, damit man es von einem Stuhl des Lokals Lüneburg aus streicheln kann. Aber um solche Dinge kümmert sich Ron nicht. Wir redeten über alte Zeiten, schliesslich hatte Ron ja auch mal Englisch studiert und war mal Lehrbeauftragter gewesen. Dann wurden wir von einer eleganten Dame in Sommerkleidung angesprochen, die zuvor am Nachbartisch gesessen hatte. Sie sagte, sie hätte nicht umhin können, unserer Unterhaltung zuzuhören. Und ob das Englische Seminar, von dem wir geredet hätten, das Englische Seminar der Universität hier im Ort sei? Und ob es da einen Professor namens X gäbe? Nachdem ich das bejaht hatte und gleichzeitig rekapitulierte, ob ich in der letzten halben Stunde irgendwelche abfälligen Bemerkungen über den doofen X gemacht hatte, hörte ich von ihr Erstaunliches. Sie hatte bei X studiert (bevor er hierher kam), er hatte ihr angeboten, bei ihm Assistentin zu werden. Aber sie hatte das abgelehnt, weil sie ihn für den langweiligsten und dümmsten Menschen unter allen ihr bekannten Anglistikprofessoren hielt (das waren ihre Worte). Und sie hätte das nie bereut. Und dann sagte sie zu Ron Schönes Auto und zu mir Das ist wirklich eine tolle IWC, die Sie am Arm haben. Setzte ihren Sommerhut auf und entschwebte mit ihrem Rollkoffer zum Oslokai um die Ecke, um die Fähre nach Norwegen zu erreichen. Stilvoller Abgang. 

Ich fahre kein Auto mehr, man kann ohne Auto leben. Moonlightblue habe ich vor Jahren einer Freundin geschenkt.

Montag, 17. Juni 2024

Roadkill

Das Buch war nicht an seiner Stelle. Das beunruhigte mich nicht sonderlich, mein eigenes Bibliotheksordnungsystem ist nicht das beste, und es sind einfach zu viele Bücher. Ich brauchte ja auch nur den Titel, den würde ich mit Google schon finden. Das Buch hatte mir mal mein Freund Voker Behrens geschenkt, es war ein satirisch böses Buch. Es zeigte, schwarz-weiß im Schattenriss, plattgefahrene Tiere auf amerikanischen Highways. Also gab ich bei Google roadkill ein. Und merkte gleich, dass das ein Fehler war. Alles war vollgemüllt mit Helene Hegemann. Kennen Sie nicht? Deutschlands siebzehnjähriger shooting star, deren Roman Axolotl Roadkill von den Rezensenten in die Nähe von Ilias und Odyssee gerückt wurde, nur mit mehr F-Wörtern drin. Also gaaanz großartig. Nur leider überall geklaut. Aber das macht ja nix. Wenn die Heißluftmaschinen des Feuilletons erstmal angelaufen sind, dann wird alles großartig, Türme und  Feuchtgebiete. Wenn Sie wirklich mal lachen wollen, dann lesen Sie nicht, was Die Zeit über Deutschlands neuen Superstar gesagt hat, sondern das, was die 97 Rezensenten bei Amazon sagen, die dem Buch nur einen Stern gegeben haben.

Mein Gedicht heute handelt von toten Tieren. Die sind ja ein Thema der Dichtung, seit Thomas Gray eine Ode auf seine Lieblingskatze geschrieben hat, die in einer chinesischen Vase ertrank. Und wir hatten hier in diesem Blog im Januar ja schon Philip Larkins anrührendes kleines Gedicht über den Igel, den er mit seinem Rasenmäher totgefahren hatte. Mein Gedicht heute ist von William Stafford und heißt Traveling Through the Dark. Es ist das Titelgedicht einer Sammlung, für die Stafford 1963 den National Book Award erhielt.

Traveling through the dark I found a deer
dead on the edge of the Wilson River road.
It is usually best to roll them into the canyon:
that road is narrow; to swerve might make more dead.

By glow of the tail-light I stumbled back of the car
and stood by the heap, a doe, a recent killing;
she had stiffened already, almost cold.
I dragged her off, she was large in the belly.

My fingers touching her side brought me the reason -
her side was warm; her fawn lay there waiting,
alive, still, never to be born.
Beside that mountain road I hesitated.

The car aimed ahead its lowered parking lights;
under the hood purred the steady engine.
I stood in the glare of the warm exhaust turning red;
around our group I could hear the wilderness listen.

I thought hard for us all - my only swerving -,
then pushed her over the edge into the river.

Wir sind in Oregon, da wo Stafford jahrelang am Lewis and Clark College unterrichtet hat. Für die Situation, da man ein totes Tier auf der engen Gebirgsstrasse findet, scheint es klare Regeln zu geben: it is usually best to roll them into the canyon. Denn to swerve might make more dead. Klingt nur vernünftig. Die Regeln in der Natur werden heute vom Auto und vom Autofahrer gemacht. Aber hier zögert der Fahrer. Zwar ist die Hirschkuh tot, aber das Kitz in ihrem Bauch lebt noch. Was soll er tun? Kann er das Tier ins Auto laden? Gibt es einen Tierarzt in der Nähe? Das Auto will weiter, der Motor bekommt etwas Tierähnliches (under the hood purred the steady engine), die Natur scheint zu warten. Was wird er tun? Für den Dichter Richard Hugo, der die Sentimentalität des Gedichtes beklagte, ist alles klar: Stop thinking hard for us all, Bill, and get that damned deer off the road before somebody kills himself. Richard Hugo war Bombenschütze bei der U.S. Air Force im Zweiten Weltkrieg. Stafford hat den Kriegsdienst verweigert und Zivildienst geleistet, für ihn ist das nicht so einfach. Aber ist dies wirklich ein sentimentales Gedicht? Rod McKuens Thoughts on Capital Punishment, in dem er die Todesstrafe für Autofahrer fordert, die Katzen überfahren, ist ein sentimentales Gedicht. Deshalb verwenden es wahrscheinlich so viele amerikanische Lehrer im Unterricht. Da kann Alf, das liebenswerte Wesen vom Planeten Melmac, nur froh sein, dass McKuen nicht auch noch über ihn geschrieben hat. Wo er doch Katzen liebt, aber anders als Rod McKuen.

Aber im Ernst, William Staffords Gedicht ist ebenso wenig sentimental wie Philip Larkins The Mower. Es ist ein Gedicht voller Emotionen, aber es ist nicht sentimental. Es wirft uns nur in eine Situation, in der wir could hear the wilderness listen. In der wir uns klar werden, dass es noch eine andere Welt als die des Automobilverkehrs gibt, in der wir erkennen, wie weit wir uns von der Natur entfernt haben. Das Gedicht kommt einfach daher, so einfach wie die Gedichte von Robert Frost, mit dem Stafford häufig verglichen worden ist. Aber es täuscht uns ein wenig mit seiner Einfachheit, es ist sehr kunstvoll konstruiert mit seiner Balance zwischen Mitgefühl und Vernunft in einer world remade by Ford and General Motors. Stafford erinnert in seinen Gedichten immer wieder an die verloren gegangene Natur. So in Written on the Stub of the First Paycheck (1966):

Gasoline makes game scarce.
In Elko, Nevada, I remember a stuffed wildcat
someone had shot on Bing Crosby's ranch.
I stood in the filling station
breathing fumes and reading the snarl of a map.

Eine ausgestopfte Wildkatze in einer Tankstelle voller Benzingeruch und eine Autokarte, die das Geräusch eines wilden Tieres wiedergibt, verdichteter lässt sich der Konflikt zwischen Natur und Maschine kaum darstellen.

Auf der Seite www.roadkilltoys.com kann man Spielzeugtiere kaufen, die aussehen, als seien sie von einem Auto überfahren worden. Das ist schon pervers.

Françoise Hardy und die Autos

Also, ich hätte es nicht gewusst, aber wozu hat man Freunde, die alles über Autos wissen. Oder alle Autos selbst haben, wie Keith hier mit seinem Jaguar E Type. Ich fand dieses Bild auf einer Seite des Guardian, die Hombre mir geschickt hatte. Lauter Photos von Françoise Hardy. Oben drüber war dieses Photo, wie sie 1960 in London am Piccadilly Circus aus einem Auto steigt. Im Miniskirt, das ist damals große Mode (der Link führt Sie natürlich zu Mary Quant). Schöne Frau, schönes Auto. Aber was war das für ein Auto? Kaum hatte ich die Mails losgeschickt, hatte ich schon die Antwort. Es ist ein Lancia Flaminia Coupé (benannt nach der Via Flaminia) von der Carrozzeria Touring.

Marcello Mastroianni hatte auch einen Lancia Flaminia. Nicht nur das, er machte auch noch für das Auto Reklame. Flaminia, l'altro amore di Marcello, war das betitelt. Wenn das Auto seine zweite Liebe war, wer war dann die erste? War es Catherine Deneuve, mit der er vier Jahre zusammenlebte und mit der er eine Tochter hatte? Wenn Sie Catherine Deneuve im Auto sehen wollen, dazu gibt es hier schon einen Post. 

Françoise Hardy hatte mal einen Ferrari 275 GTS. Und auch mal einen Rolls Royce Silver Cloud, zweifarbig, hellblau mit dunkelblauer Motorhaube und dunkelblauem Dach. Irgendwie scheußlich. Viel zu groß für sie. Da fragt man sich, was macht die lütte Deern mit dem großen Auto? Sie ist mal in London mit einem Mini photographiert worden, das sah besser aus. Aber im Showgeschäft muss es irgendwann ein Rolls sein. Michael Caine kaufte sich einen, als er noch nicht mal einen Führerschein hatte. Lesen Sie mehr dazu in dem Post Luxuskutschen

Das einzige Bild, das mich mit einem Bentley (British Racing Green) zeigt, ist leider auf dem Übertragungswege vom I-Phone zum Computer verloren gegangen. Sonst würde ich das hier einstellen. Wem der einzige Bentley in Bremen vor sechzig Jahren gehörte, das weiß ich, weil ich die Familie kannte. Aber wem der weiße Facel Vega vor einer Osterdeich Villa gegenüber vom Weserstadion gehörte, das habe ich nie herausbekommen. Françoise sah in ihrem großen Rolls natürlich viel besser aus als ich mit dem Bentley.

Bei den Dreharbeiten von John Frankenheimers Film Grand Prix hat sie mal in einem Formel 1 Rennwagen gesessen. Hatte eine kleine Nebenrolle als Boxenluder. Hat den Helm von James Garner getragen. Yves Montand gibt hier der jungen Kollegin noch Ratschläge. Aber wirklich ein Rennen ist sie mit dem Boliden nicht gefahren. Yves Montand hatte einen Ferrari, aber im Film sieht er am besten mit einem Facel Vega aus, diesem Auto, in dem Albert Camus gestorben ist. Françoise Hardy soll auch mal einen Facel Vega gehabt haben, aber dafür finde ich keine Beweise. Françoise Sagan verunglückt in dem Film Bonjour Sagan mit einem Facel Vega, im wirklichen Leben fuhr sie andere Autos zu Schrott.

Besser als der Rolls Royce gefällt mir für Françoise der Citroen CX, für den sie mit ihrem Verlobten Jacques Dutronc (der hier zu sehen ist) Werbung machte. Den Text und die Gestaltung hatte Dutronc entworfen. Der übrigens im letzten Jahr wieder eine Werbeaktion für den neuesten Citroen präsentierte. Der niedliche Bobtail ist wohl nur zu Dekoration da, ich habe noch nie ein Photo von ihr und einem Bobtail gesehen. 

Für die Firma Citroen hat Louis Malle mal einen Dokumentarfilm gedreht. Und er hat einmal gesagt: Wenn man in einem Bentley fahren gelernt hat, tritt der Wunsch nach einem Rolls-Royce etwas in den Hintergrund. Er kam aus einer sehr reichen Familie, er kannte die Bourgeoisie, die er in seinen Filmen beschrieb. Alte französische Filme sind ja eine Fundgrube für Nebensächlichkeiten. Also für Cinéasten, die den Film schon x-mal gesehen haben und nicht mehr auf die Handlung achten. Dann achtet man nur noch auf Klamotten und Autos. Und schöne Frauen wie Françoise Hardy. Auch auf ihrer Honda CB750 mit dem Pariser Kennzeichen sah sie sehr gut aus. 


Zum Thema Frauen und Autos gibt es noch mehr in den Posts: automobiliaMercédèsdie Zukunft: nackt und blindSomewhere West of Laramie und Reste