Es war kurz vor der Doktorprüfung, als ich den Vortrag eines Professors über Palladios Villa Rotonda besuchte. Der Vortragende würde der Beisitzer in meiner Prüfung sein, das wusste ich schon. Da konnte es nicht schaden, dass ich mich da mal sehen ließ (obgleich ich immerhin schon das ganze Semester lang seine Palladio Vorlesung besuchte). Es war eine Veranstaltung, zu der die Dante Aligheri Gesellschaft eingeladen hatte, die an diesem Abend zu fünfundneunzig Prozent aus älteren Damen bestand. Der Vortrag war ganz nett, es gab viele Farbdias.
Vor einem halben Jahrhundert war man im Fach Kunstgeschichte mit farbigen Bildern in Vorlesungen oder bei Vorträgen nicht so verwöhnt, sie waren meistens schwarz-weiß. Die Glasplatten wurden von der Photographin des Instituts in den Projektor gelegt, wenn der Professor vorne in der Dunkelheit mit dem Stöckchen klopfte. Manchmal legte die Photographin die Platten zum Zorn des Professors auch falsch herum ein. Ein Student am Warburg Institute, der bei seinem Referat die Dias ständig seitenverkehrt einlegte, musste sich von dem berühmten Professor Ernest Gombrich einmal sagen lassen, dass das Leben eines Kunsthistorikers damit beginnt, die Bilder richtig zu präsentieren.
An diesem Abend war aber alles richtig. Doch am Ende des Vortrags wollte der Vortragende seine Ausführungen mit einem Goethezitat beenden, das machte man ja gerne in dieser Zeit. Goethe ist immer gut. Da werden dann meist keine Fragen mehr gestellt. Als er das Bild der Villa Rotonda abgeblendet hatte und im dunklen Saal mephistomäßig nur noch von der kleinen Lampe des Pultlichts erleuchtet wurde, hatte er das Goethezitat verlegt.
Er hat mehrere Minuten hektisch im Lampenschein danach gesucht, das war sehr komisch. Der schöne kalkulierte Goethe Effekt, auf den er hingearbeitet hatte, war zum Teufel. Die Verehrer von Goethe assoziieren bei der Namensnennung der Rotonda immer ihren Lieblingsdichter, das ist wie beim Pawlowschen Hund. Opernfreunde assoziieren mit der Villa vielleicht Joseph Loseys Don Giovanni Film (✺hier ganz zu sehen). Und für die Engländer kann die Villa Almerico Capra wieder etwas ganz anderes bedeuten.
Johann Wolfgang von Goethe hatte sich in Padua eine Faksimile Ausgabe der Quattro libri dell’architettura gekauft und schrieb in das Tagebuch seiner Italienischen Reise: Endlich habe ich die Werke des Palladio erlangt, zwar nicht die Originalausgabe, die ich in Vicenza gesehen, deren Tafeln in Holz geschnitten sind, aber eine genaue Kopie, ja ein Faksimile in Kupfer, veranstaltet durch einen vortrefflichen Mann, den ehemaligen englischen Konsul Smith in Venedig. Das muss man den Engländern lassen, dass sie von lange her das Gute zu schätzen wussten, und dass sie eine grandiose Art haben, es zu verbreiten.
Goethe war von Palladio begeistert, nach der ersten Lektüre der Quattro libri dell’architettura schreibt er an Frau von Stein: Ich sah in Verona und Vicenz was ich mit meinen Augen ersehen konnte, in Padua fand ich erst das Buch, jetzt studier ich's und es fallen mir wie Schuppen von den Augen, der Nebel geht auseinander und ich erkenne die Gegenstände. Und was Goethe sonst noch über die Villa Almerico Capra geschrieben hat, können Sie hier lesen. Falls Sie mal ein Zitat für einen Vortrag über Andrea di Piero della Gondola, den man Palladio nennt, brauchen sollten.
Der Konsul Smith, den Goethe hier erwähnt, heißt Joseph Smith. Er ist Kunstfreund und Kunstsammler (und eine Art Banker für alle Engländer auf ihrer Grand Tour). Er verehrt Palladio, deshalb hat er 1768 dessen Architekturbücher nachdrucken lassen. Schöner als im Original. Auf besserem Papier und mit Kupferstichen statt der originalen Holzschnitte. Das Bild im oberen Absatz hat Smith sich von Antonio Visentini und Francesco Zuccarelli malen lassen. George III hat ihm das Bild 1762 abgekauft. Es sieht aus wie die Villa Rotunda, ist es aber nicht. Diese Photographie des selben Hauses aus den dreißiger Jahren zeigt noch einmal die Villa, die der Rotonda so ähnlich sieht.
Der Landsitz heißt Mereworth Castle, es ist ein beinahe originalgetreuer Nachbau, den Colen Campbell (der Architekt von Lord Burlington) in den 1720er Jahren für den Earl of Westmorland gebaut hatte. Die Palladio Begeisterung der Engländer im 18. Jahrhundert nimmt schon erstaunliche Formen an (der von Thomas Wright 1754-7 gebaute Nuttall Temple wurde leider 1929 abgerissen). Wir können auch sehen, dass Palladios Villa nicht an die Landschaft Venetiens gebunden ist, sie fügt sich ebenso harmonisch in einen englischen Landschaftsgarten (zu dem es hier einen langen Post gibt) ein.
Es ist ein Zusammentreffen von Gegensätzen. Erwin Panofsky hat in einem witzigen Aufsatz mit dem Titel The ideological antecedents of the Rolls-Royce radiator auf die gerade, klare Gliederung der Villen des Palladian Style hingewiesen (und der Rolls-Royce Kühler verdankt Palladio ja auch vieles), die in völligem Gegensatz zu der gewollten Unordnung der Natur des englischen Landschaftsgarten steht.
Die Villa mag italienisch sein, der Garten ist englisch. Und darauf lassen die Engländer nichts kommen. Wie Thomas Gray so schön sagte: The only proof of our original talent in matter of pleasure is our skill in gardening and the laying-out of grounds. And this is no small honour to us, since neither Italy nor France has ever had the least notion of it, nor yet do the least comprehend it when they see it. It is very certain, we copied nothing from them, nor had anything but nature for our model. Dass man die Analogie zwischen Palladio und dem Rolls-Royce Kühler noch weiter treiben kann, hat der Schweizer Photograph Leonardo Bezzola mit dieser Photomontage von Palladios Villa Badoer und dem Kühler eines Rolls Royce Silver Ghost gezeigt. Das ist sicherlich ein wunderbares Beispiel für das, was Aby Warburg mit dem Terminus Bilderfahrzeuge gemeint hat.
Das hier ist auch nicht die Rotonda. Was wie eine missratene Sparversion von Palladios Villa aussieht, ist die Villa Pisani von Vincenzo Scamozzi (sie ist das Vorbild für den oben erwähnten Nuttall Temple gewesen). Scamozzi stellte nach Palladios Tod noch einige Bauten wie das Teatro Olimpico fertig. Er ist als Architekturtheoretiker wohl wichtiger denn als Baumeister, obgleich er sich selbst immer als bedeutender als Palladio empfand. Was er nicht ist. Er kann nicht einmal besonders gut seinen Lehrer imitieren.
Das haben über die Jahrhunderte viele gekonnt. Es gibt kaum einen Architekten, der so häufig kopiert, imitiert und zitiert wurde wie Andrea Palladio. Man kann immer noch mit den Formelementen seiner Architektur schöne Häuser bauen. Dies hier ist die Kathedrale von Brentwood, 1989 bis 1991 nach Plänen von Quinlan Terry (der schon in dem Post Jacob van Campen erwähnt wird) in Formen der italienischen Renaissance und des englischen Barock erbaut.
Ich weiß nicht, ob dieses postmoderne Zitieren gut oder schlecht ist. Manchmal ist es schlichtweg lächerlich. So wie Philip Johnsons Sony Hochhaus. Aber manche Bauten wirken auch sehr überzeugend palladianisch. So wie diese mit Loggien (die Palladio liebte) versehene Ranch in Montecito. Dort erwartet man normalerweise eher Häuser von Frank Lloyd Wright (der hier einen Post hat), aber nicht Imitationen von Andrea Palladio. Aber irgendwie geht das Ganze harmonisch auf.
Wenn heute die meisten Architekten auf die Bausteine eines Lego Baukastens zurückgreifen, bedienten sich die Baumeister, die eine Wiedergeburt (re-naissance) der Antike wollten, aus dem klassischen Formenkatalog der Antike. Säulen, Tympanon, Portikus und griechische Tempelfronten wurden wieder hervorgeholt. Und das von Palladio gerne verwendete Venezianische Fenster (das auch Palladio-Motiv oder Serliana heißt) geht auf den Triumphbogen zurück (ich habe hier eine interessante Seite des Center for Palladian Studies in America über Palladios Bauelemente). In der Rotonda zieht Palladio alle Register. Normalerweise hat eine Villa eine Schauseite, die Villa Rotonda hat vier. Das Haus ist nach außen gebaut, Schaustück einer Idealarchitektur. Nicht unbedingt zum Wohnen. Just for show. Was Palladio zu den Gardinen in dem Fenster links gesagt hätte, weiß ich jetzt nicht.
Palladio ist der erste, der eine Kuppel (die bei der Rotonda zuerst noch oben offen war) für einen Profanbau verwendet. Es sollte bei aller Begeisterung für Palladios Villen nicht vergessen werden, dass er auch Kirchen gebaut hat. Rudolf Wittkower sagt in seinem Buch Architectural Principles in the Age of Humanism (dt. bei dtv: Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus), dass wir nicht vergessen sollten, dass der Kirchenbau auch einen Einfluss auf die Profanbauten in dieser Zeit hat:
Der Glaube an die Entsprechung von Mikrokosmos und Makrokosmos, an die harmonische Struktur des Weltalls, an die Anschauung Gottes unter den mathematischen Symbolen der Mitte, des Kreises, der Sphäre - all diese eng miteinander verknüpften Gedanken, die ihre Wurzeln in der Antike haben und zu den unbestrittenen Glaubenssätzen mittelalterlicher Philosophie und Theologie gehörten, kamen in der Renaissance zu neuem Leben und fanden sichtbaren Ausdruck in der Renaissancekirche.
Die von Menschen geschaffenen Formen der Körperwelt waren die Vergegenständlichung mathematischer, der Geisteswelt angehöriger Symbole, und die Verknüpfung zwischen den reinen Vorstellungen der absoluten und der stofflichen Formen der angewandten Mathematik war sinnlich direkt wahrnehmbar. Für die Menschen der Renaissance war diese Architektur mit ihrer klaren Geometrie, ihrer strengen Anmut, ihrem harmonischen Wohlklang und vor allem der Pracht der sphärischen Kuppel, ein Abglanz, ja noch mehr, eine Offenbarung göttlicher Vollkommenheit, Allmacht, Wahrheit und Güte.
Die Tür ist offen, wir können eintreten. Hier in den lichtdurchfluteten Eingangssaal der Villa Cornaro. Die Besitzer erlauben uns das, sie wohnen selbst hier. Dazu später mehr. Ich fange mal mit einigen Büchern zu Palladio an. Und nein, das soll kein ausführlicher Literaturbericht über die Palladio Forschung werden, ich komme mit wenigen Titeln aus. Man braucht sicherlich den Fotobildband A Venetian Concert (mit vier Musik CDs) nicht unbedingt, ich erwähne den nur, weil er mir gerade in die Hand fiel. War für mich eine Erinnerung daran, dass ich endlich über Palladio schreiben wollte.
Meine erste Buchempfehlung ist Lionello Puppis voluminöses Werk Andrea Palladio: Das Gesamtwerk, das bei der Deutschen Verlags Anstalt erschienen ist. Es gibt davon auch eine gekürzte Studienausgabe, aber eigentlich sollte es schon das ganze Buch mit seinen 569 Seiten sein. Stadtpaläste, Landsitze (wie hier die ➱Villa Godi, einer der ersten Bauten von Palladio), öffentliche Gebäude, Brücken, Kirchen und Theater: alles ist hier drin.
Meine zweite Empfehlung ist ein beinahe fünfzig Jahre alter kleiner (195 Seiten) Band aus der Pelican Reihe The Architect and Society, der bis heute nichts von seiner Bedeutung verloren hat. Der Autor James Ackerman geht inzwischen auf die hundert zu, ist aber noch quicklebendig. Er hat eine eigene Internetseite, und Sie können hier mehr über ihn lesen. Und ihn hier in einem Interview aus dem Jahre 2010 sehen. Bei den Feiern zum 500. Geburtstag von Palladio hat Venedig ihn zum Ehrenbürger gemacht (Ehrenbürger von Padua war er schon vorher), und er hat 2008 auch einen Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Vendig bekommen. Leider ist das Buch vergriffen, aber man kann es noch antiquarisch finden. Die besten Angebote sind zur Zeit bei booklooker, wo man auch die deutsche Ausgabe dieses Buches findet, die 1980 bei Hatje in Stuttgart erschienen ist.
Meine letzte Literaturempfehlung ist Witold Rybczynskis Das vollkommene Haus: Eine Reise mit dem italienischen Renaissance-Baumeister Andrea Palladio. Es ist ein wunderbares, lebendiges Buch, bei dem man die Begeisterung des Autors für sein Thema spüren kann. Man kann das Buch, das im Original den Titel The Perfect House: A Journey with Renaissance Master Andrea Palladio hat, auch als Reiseführer zu den Villen des Architekten gebrauchen. Das Buch macht deutlich, weshalb dieser Baumeister mit seinen Villen in Venetien in fünfhundert Jahren nichts von seiner Bedeutung verloren hat.
In einem Brief von 1816 schreibt Jeffersons Privatsekretär Isaac A. Coles an John Hartwell Cocke: With Mr. Jefferson I conversed at length on the subject of architecture. Palladio, he said ‘was the bible.’ You should get it and stick close to it… Und Jefferson hat sich bei seiner Villa Monticello auch sehr genau an Palladio gehalten. Vielleicht ist der Einfluss Palladios nirgendwo so groß gewesen wie in Amerika. Wir brauchen nur an das Weiße Haus zu denken. Mehr zu dem Thema findet man in dem vorzüglichen Buch von Baldur Köster Palladio in Amerika. Das habe ich schon in dem Post 18th century: Architecture erwähnt. Und ich habe hier noch einen kleinen ✺Film zu dem Thema, den James Ackerman und John Terry gedreht haben.
Die Villa La Rotonda liegt auf einem Hügel, der Architekt war von der Lage begeistert: Die Lage gehört zu den anmutigsten und erfreulichsten, die man finden kann. Das Haus liegt auf einem leicht zu besteigenden Hügel, der auf der einen Seite vom Bacchiglione, einem schiffbaren Fluß, begrenzt wird, und auf der anderen Seite von weiteren lieblichen Hügeln umgeben ist, die wie ein großes Theater wirken.
Die Straße im Vordergrund des Bildes oben gehörte nicht zur Planung Palladios. Der Fiat 500 auch nicht. In England wäre hier ein großer Landschaftsgarten um einen Landsitz. Und wenn da ein Auto stände, dann wäre es ein Rolls. Und das muss natürlich ein Silver Wraith mit der Karosserie von Hooper sein. Eine von Mulliner Park Ward geht gar nicht.
Ein Kuppelbau (der zuerst oben offen war) in der Mitte, vier identische Portiken drumherum (die Proportionen entsprechen übrigens musikalischen Intervallen). Kann man hier wirklich wohnen? Vitruvs Forderung der utilitas, der Nützlichkeit, scheint Palladio hierbei nicht interessiert zu haben (bei anderen Villen schon). Das ist auch Goethe sofort aufgefallen, wenn er schreibt: hier konnte der Baumeister machen was er wollte und er hats beynahe ein wenig zu toll gemacht... Er hat noch mehr zu kritisieren: Inwendig kann man es wohnbar, aber nicht wohnlich nennen. Der Saal ist von der schönsten Proportion, die Zimmer auch; aber zu den Bedürfnissen eines Sommeraufenthalts einer vornehmen Familie würden sie kaum hinreichen.
Aber Signore Paolo Almerico, der referendario apostolico von Pius IV und Pius V, ist trotzdem hierher gezogen. Er hat aber zu seinen Lebzeiten (ebenso wie der Architekt) die Villa nicht im vollendeten Zustand gesehen. Es sollte nicht verheimlicht werden, dass sein illegitimer Sohn (auch so etwas gibt es bei Klerikern) die Villa (die eigentlich noch eine Baustelle ist) nach dem Tod des Vaters an die Brüder Odorico und Mario Capra verkaufte, weshalb sie manchmal auch Villa Almerico Capra heißt.
Nicht alles an der Architektur einer Villa kann schön sein, versichert uns Palladio im Buch II der Quattro libri dell'architettura: Denn wie auch im menschlichen Körper einige edle und schöne Teile und einige eher unedle und häßliche anzutreffen sind, die für jene offensichtlich außerordentlich notwendig sind und ohne die die ersteren nicht sein könnten, so müssen auch in den Bauwerken neben einigen ansehnlichen und ehrenvollen auch einige weniger elegante Gebäudeteile vorhanden sein, von denen die erstgenannten jedoch nicht unbeeinflußt bleiben können und die so einen Teil ihrer Würde und Schönheit einbüßen.
Aber Gott der Herr hat die Teile, die am schönsten sind, an jene Stellen gesetzt, auf die der Blick zuerst fällt, die weniger ehrenvollen Teile aber an versteckte Orte. Und so ordnen auch wir beim Bauen die hauptsächlichen und ansehnlichsten Gebäudeteile offen und die weniger schönen an den unseren Augen am verborgensten liegenden Stellen an, damit so alle Häßlichkeiten des Hauses und all jene Dinge, die einen in Verlegenheit bringen und die die schönen Teile häßlich machen würden, untergebracht werden können. Und wenn da mal kein Fenster ist, dann malt Paolo Veronese eins an die Wand.
Viele der Villen Palladios sind nicht einfach eine Casa di Villa, die der Architekt aufs Land versetzt hat, obgleich es diesen Typ natürlich gibt. Viele sind das Hauptgebäude eines landwirtschaftlichen Betriebes (fattoria). Alles, was links und rechts des quadratischen Hauses der Villa Emo ist, gehört zur fattoria. Die beiden Taubenhäuser links und rechts inklusive. In diesem Zusammenhang muss ich mal eben das Wort villeggiatura einführen. Klingt eleganter und eindrucksvoller als Stadtflucht, aber es ist eine Stadtflucht, die Adel und Großbürgertum der Renaissance sich jetzt erlauben. Vielleicht, weil sie auf dem Land ein neues Arkadien zu finden hoffen, wie man es manchmal lesen kann. Vielleicht auch nur, weil sie die Stadt leid sind.
Aber vielleicht eher deshalb, weil man mit dem Bau einer Villa außerhalb von Venedig auch den Machtanspruch auf das Land jenseits der wasserumspülten Lagunenstadt demonstrieren will. Der Beginn für die villegiatura könnte man mit dem Jahre 1433 ansetzen, wo Venedig vom Kaiser Sigismund von Luxemburg die Terraferma als seinen Besitz zugesprochen bekommt. Ein Buchtitel wie Die Villa als Herrschaftsarchitektur macht das deutlich. Das Buch von Reinhard Bentmann und Michael Müller erschien 1970 in Suhrkamps Regenbogenreihe (hier das Cover der Neuauflage bei Syndikat) und hat den Untertitel Versuch einer kunst- und sozialgeschichtlichen Analyse. Die Betonung des letzteren war den Autoren damals wichtig, 1968 war gerade vorbei, da musste eine gesellschaftspolitische Komponente hinein.
Wobei man sagen muss, dass das nicht gerade revolutionär neu war. Dass die Kunstgeschichte etwas mehr als mehr als architektonische Formensprache und emphatische Begeisterung à la Goethe ist, hatte schon die Pelican Reihe mit dem society im Titel der Reihe The Architect and Society deutlich gemacht. Das erkennen Bentmann und Müller auch durchaus an. Ihr wirklich substantielles Buch hat mehrere Auflagen erlebt und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Das Bild hier zeigt die Villa Barbaro in Maser mit den barchessen links und rechts, die natürlich für die fattoria sind.
Das Bild oben über dem Landschaftsbild von Veronese und dieses Bild hier zeigen die Villa Saraceno, die in einem beinahe abbruchreifen Zustand war. 1989 kaufte eine private Organisation das Gebäude und ließ es umfassend von der englischen Firma John Francis Bucknall restaurieren. Der Käufer war kein italienischer Mäzen, keine italienische Organisation, es war ein Engländer. Und hier kommt wieder einmal der Name Smith ins Spiel.
Goethe, der Joseph Smiths Grab auf dem Lido 1786 besuchte, schrieb in seiner Italienischen Reise: Auf dem Lido, nicht weit vom Meer, liegen Engländer begraben, und weiterhin Juden, die beiderseits in geweihtem Boden nicht ruhen sollten. Ich fand das Grab des edlen Konsul Smith und seiner ersten Frauen; ich bin ihm mein Exemplar des Palladio schuldig und dankte ihm auf seinem ungeweihten Grabe dafür. Und nicht allein ungeweiht, sondern halbverschüttet ist das Grab. Das Lido ist immer nur wie eine Düne anzusehen; der Sand wird dorthin geführt, vom Winde hin und her getrieben, aufgehäuft, überall angedrängt. In weniger Zeit wird man das ziemlich erhöhte Monument kaum wiederfinden können. Diesen Giovanni Bellini, der Joseph Smith gehört hatte, kaufte nach seinem Tod ein anderer englischer Kunstfreund und Architekturliebhaber: William Beckford. Der hat hier natürlich einen Post.
Joseph Smith hatte sein Geld im Bankgeschäft gemacht, Sir John Lindsay Eric Smith, CH, auch. Er kommt aus einer Familie von Bankiers, aber er ist auch ein Philantroph und Kunstfreund, der von 1952 bis 1995 einer Vielzahl von Ausschüssen des National Trust angehörte. 1965 gründete er seinen eigenen Trust, den Landmark Trust. Der kümmert sich wie der National Trust um historische Bauwerke. Ist aber ein klein wenig anders: der Landmark Trust lässt Interessenten darin wohnen. Gegen angemessene Bezahlung.
Die Einnahmen wandern nicht in die Tasche von Sir John, damit werden die Unterhaltskosten getragen. Einer der ersten, der sich in der Villa Saraceno einmietete, war der amerikanische Professor Witold Rybczynski, der gerade sein Buch über Palladio schrieb. Und er wollte unbedingt einmal in einer Palladio Villa wohnen. Im Kapitel Palladios Geheimnis von Das vollkommene Haus: Eine Reise mit dem italienischen Renaissance-Baumeister Andrea Palladio hat er darüber geschrieben. Der Landmark Trust hat bei der Gelegenheit auch die zum Landgut gehörenden ehemaligen Bauernhäuser saniert (die allerdings nicht von Palladio entworfen worden waren) und sie als Ferienhäuser eingerichtet.
Inzwischen ist die Villa (zusammen mit anderen Villen Palladios) zum Weltkulturerbe erklärt worden. Und wenn Sie die Villa buchen wollen, klicken Sie hier. Die Schlafzimmer sind unter dem Dach, da wo früher das Gesinde gewohnt hat. Im Untergeschoss waren Wirtschaftsräume und Weinkeller, das piano nobile war die Bühne für die Repräsentation. Hier könnte Don Giovanni sein Fin ch'han dal vino singen.
Für die Privatinitiative bei der Renovierung einer Palladio Villa hätte ich noch ein anderes Beispiel: Ein Ehepaar aus Atlanta, Carl and Sally Gable, suchte ein Wochenendhaus in den White Mountains von New Hampshire oder in Vermont. Da stieß Sally Gable im New York Times Magazine auf ein Verkaufsangebot für die Villa Cornaro in Venetien. Lassen wir Sally Gable mal eben selbst sprechen:
I begin to thumb the pages where ads appear for grand houses on Long Island and penthouses in Manhattan, and occasionally for summer houses in New England. I have chosen a bad week for New England summer homes, however; not a single one is listed. In the midst of my disappointment, my eye stops at an unusually unattractive ad from a Greenwich, Connecticut, realtor for a villa in the Veneto region of Italy, a villa allegedly designed by Andrea Palladio, the most influential figure in the history of western architecture. Frankly, the whole thing seems implausible, but an interesting coincidence nonetheless. The coincidence lies in the fact that Carl and I had made plans several months earlier for a July visit to the Palladian villas in the Veneto. Our friends from London, Judith and Harold, are to meet us there. With a “Ha!” I show the ad to Carl and tell him that if I don’t find the right spot in New England, we can always settle for our own Palladian villa.
Die Villa Cornaro ist wohl die Villa Palladios, die am längsten im Besitz der Familie des Erbauers war. 253 Jahre gehörte sie den Cornaros, danach drei anderen Familien. Dass während des Krieges hier deutsche Offiziere wohnten, lassen wir mal eben aus. In den 1950er Jahren war die Villa der Kindergarten der Gemeinde. Etwas, wovon Palladio wohl nie geträumt hat. Danach stand sie für Jahre leer. 1969 hat sie Richard H. Rush aus Greenwich (CT) gekauft, der auch ein Buch mit dem Titel Art as an Investment geschrieben hat. Mr und Mrs Rush haben dann in die Villa zwanzig Jahre Arbeit investiert. Sie können ➱hier alles dazu lesen. Es war später gar nicht so leicht, das Objekt wieder loszuwerden. Aber das Ehepaar aus Atlanta schien für das Ehepaar Rush der richtige Käufer zu sein, selbst wenn sie nicht so viel boten wie andere Interessenten.
Die Gables haben die Villa gekauft. Inklusive der Möbel. Sie brauchten nur ihre Zahnbürsten mitzubringen, alles andere war da. Sie haben noch einiges an Arbeit hineingesteckt. Und dabei Italienisch gelernt. Das Ehepaar weiß jetzt alles über Palladio. Carl Gable ist mittlerweile einer der Direktoren des Center for Palladian Studies in America. Seine Frau Sally Gable hat dann ein Buch über das italienische Abenteuer geschrieben (Sie können hier den Anfang lesen): Palladian Days: Finding a New Life in a Venetian Country House. Es ist ein schönes Buch, voll von warmherzigem Humor. Wenn Sally zum ersten Mal nach Venetien fliegt, um sich die Villa anzusehen, sagt ihr Gatte zu ihr: Remember, the lady of a villa is called a villainess.
Etymologisch ist das nicht so ganz richtig, schon im Mittelenglischen, wohin das französische vilein gewandert ist, hat das Wort eine negative Bedeutung (die das französische vilain und das italienische villano ebenso wie das englische villain heute noch haben). Nein, eine villainess finden wir eher in der Gothic Novel, nicht in einer Villa von Palladio. Zwar wurden in dem Year without a summer, Gothic Novels in einer Villa geschrieben, aber die Villa Diodati hat Palladio nicht gebaut.
Die Links im Text sind heute in dem Post das Beste. Lesen Sie auch: ➱Lord Burlington, ➱Inigo Jones, ➱Robert Adam, ➱18th century: Architecture.