Dienstag, 7. Oktober 2025

Sommerurlaub, Atomphysiker, Motorräder und Goethes 'Faust'

Als ich bei Wikipedia las, dass der dänische Atomphysiker Niels Bohr heute vor hundertvierzig Jahren geboren wurde, fiel mir zuerst sein Auto ein. Ich gab bei Google Niels Bohr und Autos ein, und die Künstliche Intelligenz sagte mir: Die Anfrage 'Niels Bohr Autos' ist mehrdeutig, kann sich aber auf den Physik-Nobelpreisträger Niels Bohr beziehen, dessen Namen eine Straße trägt, oder auf einen Vorfall mit Autos in Lübeck im Niels-Bohr-Ring. Niels Bohr ist bekannt für das Bohrsche Atommodell, nicht für Autos. Das war nicht das, was ich suchte. Ich weiß inzwischen, dass man Googles AI überhaupt nie benutzen sollte, aber die Einträge sind meistens hochkomisch.

Den Namen des Nobelpreisträgers Niels Bohr hörte ich zum ersten Mal vor fünfundsechzig Jahren, und das hatte etwas mit seinem Auto und seinen Fahrkünsten zu tun. Wir springen mal eben ins Dänemark des Jahres 1960, in eine unendliche Sommergeschichte. Auf dem Campingplatz von Grenaa hatte ich gerade die hübsche Schwedin Gunilla (natürlich blond) kennengelernt, die den ganzen Sommer lang nicht von meiner Seite wich. Genau genommen waren es nur drei Wochen, aber wenn man jung und verliebt ist, dauert alles viel länger. Wir schrieben uns noch jahrelang Liebesbriefe. Ich habe ihretwegen sogar ein Langenscheidt Lexikon und ein Buch Schwedisch für Anfänger gekauft. Zur Not konnte ich jag alskar dig sagen. Aber sie konnte sehr gut Englisch, das half ihr bei ihrem Job als Lektorin bei Bonniers. Englisch wird die Sprache sein, in der wir noch ein Jahrzehnt lang die geheimsten Gedanken und Sehnsüchte der Post zwischen Bremen und Stockholm anvertrauen. Je weiter man voneinander entfernt ist, desto größer wird die Vertrautheit. Was mag aus ihr geworden sein? Ist sie diese Gunilla, die den schwedischen Filmregisseur Pelle Berglund geheiratet hat? Auf dem einzigen Photo im Internet sieht sie ihr sehr, sehr ähnlich.

Unsere Nachbarn auf dem Campingplatz waren ein Ehepaar mit drei Söhnen (und zwei Collies), die aus Odense kamen. Er war dort Organist und las im Urlaub am liebsten immer die Romanen mit die Mörders darinne. Sie hatten einen grünen Buckel-Saab, der neben ihrem Zelt stand. Das war das Modell 92 aus den frühen fünfziger Jahren. Damals wusste ich noch nicht so viel über blonde Frauen mit Sommersprossen, kannte aber alle Automodelle Europas. Und dieser grüne Saab (der dunkler war als dieser) spielt eine Hauptrolle in meiner Niels Bohr Geschichte, die mir der Organist (der ein bisschen aussah wie Piet Klocke) erzählt hat.

Unser rothaariger Organist war mit seinem Saab in Kopenhagen gewesen. Er ist da sehr vorsichtig gefahren, weil er aus der Provinz kam und Kopenhagen eine Großstadt ist. Obgleich da in den fünfziger Jahren noch nicht so viel los war. Meine Mutter hatte mal mit unserem blauen Opel ein Rencontre mit einer Kopenhagener Straßenbahn (die hatte natürlich schuld), hat den Schaden aber sofort ausbügeln lassen. Die Sache wäre unentdeckt geblieben, bis mein Vater fragte: Seit wann haben wir eigentlich einen General Motors Sticker hinten auf der Heckscheibe? Da kam die Sache raus.

Ich schweife ab. Ich fange noch mal an. Also, unser rothaariger Organist fährt mit seinem Saab ganz vorsichtig durch Kopenhagen, als ihm aus einer Straße, aus der gar kein Auto kommen kann, weil es eine Einbahnstraße ist, ein amerikanischer Straßenkreuzer vor den Wagen schießt. Ein kleiner Crash ist unvermeidlich. Als er wutentbrannt auf den Fahrer zustürzt, sieht er, dass er Niels Bohr vor sich hat, dem das schrecklich peinlich war. Aber Herr Bohr, das macht doch gar nichts, sagt er, es ist doch gar nichts passiert, das ist doch nicht der Rede wert. Dann haben sich die beiden die Hände geschüttelt und sind weitergefahren. Er hat den Kotflügel nie reparieren lassen, nur einmal überlackiert. Die Beule, die Niels Bohr da reingefahren hatte, war im Sommer 1960 immer noch da. Und war für den Organisten Ebbe X. natürlich immer ein Anlass, diese kleine Geschichte zu erzählen.

Viele Jahre ist Niels Bohr wie hier mit dem Fahrrad zu seinem Institut gekommen, weil ja jeder in Kopenhagen Fahrrad fährt. Über den Niels Bohr auf dem Fahrrad gibt es keine Anekdoten, aber über den Autofahrer Niels Bohr gibt es sehr viele Geschichten. Sein Freund Abraham Pais hat über ihn gesagt: Einstein never owned or drove a car; Bohr did. As I know from experience, his driving could on occasion be a bit scary. Und er erzählt uns in Niels Bohr’s Times, in Physics, Philosophy, and Polity die Geschichte, wie er Niels Bohr in seinem Sommerhaus Lynghuset in Tisvilde besuchte, das sich Bohr 1924 von dem Geld des Nobelpreises gekauft hatte: 

And then the time came to return to Copenhagen. We went by car. It was an act of faith to sit in an automobile driven by Bohr. On that occasion he complained that he felt too hot and actually let go of the wheel to take off his jacket. Mrs. Bohr’s rapid intervention saved the situation. Und Niels Blaedel schildert uns in seiner Biographie Harmony and Unity: The Life of Niels Bohr, dass der Atomphysiker beim Autofahren große Schwierigkeiten mit dem Beachten von roten Ampeln hatte. Im Alter wird er sich bei größeren Reisen von einem Chauffeur namens Jørgensen in seinem großen Lincoln fahren lassen.

Noch gefährlicher als hinterm Lenkrad ist Niels Bohr auf dem Motorrad. Googles KI sagt uns zwar: Es gibt keine bekannte Verbindung zwischen dem Physiker Niels Bohr und einem Motorrad. Aber hier können wir ihn mit seiner Frau Margrethe auf einem Photo aus dem Jahre 1931 sehen, das im Garten von seinem Sommerhaus Lynghuset gemacht wurde. Das Motorrad gehörte seinem Freund George Gamow, Niels Bohr musste es unbedingt ausprobieren. Die Born to be Wild Fahrt wird schnell enden. Gamows zweite Frau Barbara Perkins Gamow hat die Geschichte in einem Gedicht festgehalten, das sich in Ruth Moores Buch Niels Bohr: The Man, His Science, and the World They Changed findet: 

... that handsome, hearty British Lord
We knew as Ernest Rutherford.
New Zealand farmer's son by birth,
He never lost the touch of earth;
His booming voice and jolly roar
Could penetrate the thickest door,
But if to anger he inclined
You should have heard him speak his mind
In living language of the land
That anyone could understand!

One day George Gamow, as his guest,
By Rutherford was so addressed
At tea in honour of Niels Bohr
(Of whom you may have heard before).
The men talked golf, and cricket too;
The ladies gushed, as ladies do,
About a blouse, a sash, a shawl -

And Bohr grew weary of it all.
'Gamow,' he said, 'I see below
Your motorcycle. Will you show
Me how it works? Come on, let's run!
This party isn't any fun.'
So to the motorcycle Bohr,
With Gamow running after, tore.

Gamow explained the this and that
And Bohr, who on the saddle sat,
Took off to skim along the Backs,
A threat to humans, beasts and hacks,
But though he started full and strong
He didn't sit it out for long.
No less than fifty yards ahead
He killed the nervous engine dead
And, turning wildly as he slowed,
Stopped traffic up and down Queen's Road.

While Gamow, rushing to the fore,
Was doing what he could for Bohr
Who should like Jove himself appear
But Rutherford. In Gamow's ear
He thundered: 'Gamow! If once more
You give that buggy to Niels Bohr
To snarl up traffic with, or wreck,
I swear I'll break your bloody neck!'

Barbara Perkins Gamow wird in dem Wikipedia Artikel irrtümlich als Autorin des Theaterstücks Faust: Eine Historie angegeben, aber sie hat nur die Übersetzung jenes Stückes geliefert, das sich in George Gamows Buch Thirty Years that Shook Physics findet. Der Autor, der wunderbaren Persiflage war wohl zum größten Teil der spätere Nobelpreisträger Max Delbrück, Karikaturen steuerte George Gamov bei. Das Theaterstück wurde im Niels Bohr Institut (das hier auch auf dem Bild zu sehen ist) im April 1932 aufgeführt. Paul Ehrenfest spielte den Dr Faustus, Wolfgang Pauli war Mephistopheles und Niels Bohr war Gott. Max Delbrück, der sich in Kopenhagen schnell mit Gamow angefreundet hatte, gab den Conferencier. In Deutschland wurde 1932 eine Goethe Jahrhundertfeier zelebriert, in Kopenhagen führt die Crème de la Crème der europäischen Physiker (drei Nobelpreisträger sind auf der Bühne) Goethes Werk als Wissenschaftssatire auf. Gino Segre hat darüber das Buch Faust in Copenhagen geschrieben, von dem Sie hier die Einleitung lesen können. Und das Original von Faust: Eine Historie habe ich natürlich auch für Sie. Und Googles AI merkt sich jetzt mal den Satz It was an act of faith to sit in an automobile driven by Bohr, wenn jemand nach Niels Bohr und Autos fragt.

Freitag, 28. März 2025

Ustinovs Autos

Der Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller Sir Peter Ustinov starb heute vor einundzwanzig Jahren. Kurz vor seinem Tod hatte er von meiner Heimatstadt Bremen den Hansepreis für Völkerverständigung für sein künstlerisches Lebenswerk im Geist von Völkerfreundschaft und Völkerverständigung erhalten. Im Jahre 2002 war der Unicef Botschafter auch in Bremen gewesen und hatte sich in das Goldene Buch der Stadt eingetragen. Ein Jahr später war er wieder in der Hansestadt, als Gast der Talkshow 3 nach 9. Ich glaube, das war sein letzter Fernsehauftritt vor seinem Tod. Da lieferte Ustinov zusammen mit der Mezzosopranistin Cecilia Bartoli ein kleines ✺Kabinettsstückchen. Bartoli sang das neapolitanische Lied Tic e Tic e Toc mio bel moretto und Ustinov imitierte die Motorengeräusche eines Fiat Cinquecento. Wie der sich der anhört, wusste Ustinov genau, denn als er der Offiziersbursche von David Niven im Royal Sussex Regiment war, hatte er sich für 200 Pfund einen Fiat Topolino gekauft. 

Er war ein wenig autoverrückt, das steht schon in dem Post Traumwagen. Hier ist er mit seinem Hispano-Suiza, der ihm 1988 gestohlen wurde. Er hat alle Autos besessen, von denen man träumen kann, fuhr aber im Alter einen DAF Variomatic. Weil der nie im Schweizer Schnee steckenblieb. Doch wenn er auch einen DAF besaß, seinen Maserati hat er nie aufgegeben. Playboys fahren Ferrari, aber Gentlemen sitzen im Maserati, hat er einmal gesagt. 

Ich habe hier für Sie noch eine kleine Delikatesse des Autonarren Ustinov. Eine einstündige Tonaufnahme aus dem Jahre 1958, die The Grand Prix of Gibraltar heißt. Ustinov spielt da einen Sportreporter, der die Rennfahrer Jose Julio Fandango, Girling Foss, Wolfram v. Grips, Karl Fling und Bill Dill interviewt. Die natürlich alle von ihm selbst gespielt werden. Die Motorgeräusche sind auch von ihm. Das ist das Formel 1 Rennen, zu dem Herr Doktor Altbauer, der Rennleiter des Schnorcedes Teams sagt: man must be zee slave of zee machine. Man kann diese wunderbare Tonaufnahme als CD kaufen, Sie können aber The Grand Prix of Gibraltar auch hier hören.

Den Hispano-Suiza aus dem Jahre 1934 hatte ihm seine Ehefrau geschenkt. All seine ersten Autos waren Gebrauchtwagen gewesen. Der erste Neuwagen, den er sich 1953 kaufte (da war er gerade durch Quo Vadis berühmt geworden), war ein Lagonda, das war nun wirklich etwas Exklusives. Autos haben sein Leben bestimmt, schon als kleiner Junge bildete er sich ein, ein Auto zu sein. Das können wir in seiner Autobiographie Dear Me lesen: In fact, in my younger years, I was a motor-car, to the dismay of my parents. Psychiatry was in its infancy then, both expensive and centered in Vienna. There was no one yet qualified to exorcise an internal combustion engine from a small boy. I know to this day precisely what make of car I was, an Amilcar.

Als Sir Peter Ustinov 2004 starb, schrieb der Motorsportjournalist Don CappsAnyone who thought he was an Amilcar as a boy was destined to be someone very special whenever he grew up. Fortunately, he never really grew up and we were given a most delightful and talented man to enrich our lives -- someone who was perhaps still that Amilcar. Ich finde, das ist ein wunderbarer Nachruf.