Sonntag, 17. Januar 2016

NSU


Wenn man heute die Buchstaben NSU liest, dann stehen sie in dem meisten Fällen nicht für die Automobile aus Neckarsulm, sondern für etwas, das Nationalsozialistischer Untergrund heißt. Dieser Name ist ziemlich neu, vielleicht sollte man auch besser nicht diese grotesk großartige Bezeichnung verwenden, sondern von den Mördern Mundlos, Böhnhardt und ihrem Flittchen reden. Die Fabrik in Neckarsulm, die vor den Automobilen zuerst Strickmaschinen, dann Fahr- und Motorräder herstellte, gibt es dagegen schon seit 1873. Und schon 1892 haben sie das NSU (als Abkürzung für die Flußnamen Neckar und Sulm) als Markenzeichen verwendet.

Heute gibt es die Firma NSU nicht mehr, die Nachfolgefirma heißt Audi (das Börsensymbol für die Aktie der Audi AG ist aber weiterhin NSU), ihre Produktion von Motorrädern und Automobilen ist längst Geschichte. Wie zum Beispiel der berühmte Ro80 (der hier schon einen Post hat) oder der NSU 1000TT, der in der TTS Version viele Rennen gewann (sogar einmal die Rallye Monte Carlo). Oder natürlich der NSU Prinz. Ein Modell, das das Badewannen Design des Chevrolet Corvair hatte. Ich kenne es nur zu gut. Ich hatte mehrere.

Ich weiß, dass es einen Klub für Fans der NSU Prinz Modelle gibt. Sie können hier ihre Website anklicken (einen Blog gibt es auch). Ich bin da aber kein Mitglied, ich habe schon in dem Post Ehemalige gesagt, dass ich nicht der Typ für Vereine und so etwas bin. Ich gehe auch selten zu Klassentreffen. Schreibe gerade aber an einem Post, der Klassentreffen heißt, aber ich weiß nicht, ob der je fertig wird. Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry hat nichts mit dem NSU Prinz zu tun, er ist nur hier, um diesem Post einen literarischen Anstrich zu geben. Den er später noch bekommen wird.

Auf diesem Photo der Dänischen Straße in Kiel kann man sehen, dass man die Dänische Straße noch befahren kann, dass es noch eine Straßenbahn gibt und dass da rechts ein heller NSU steht. Ich habe das Gefühl, dass das meiner ist. Das ist aber schon die NSU Prinz 1000 Version. Er hieß Principessa, Gudrun hatte ihn so getauft, das Auto steht auch schon in dem Post Cutty Sark. Ein Post, der sehr komisch ist. Und in dem jedes Wort wahr ist.

Ein NSU 1000 war vor fünfzig Jahren schon eine schöne Sache, Welten oberhalb des Prinz 4. Oder des Prinz 3, den man das Brötchen nannte. Der Dirk hatte einen, das weiß ich. Den hatte er mir nämlich mal angedreht, damit ich den von Dänemark nach Hause fuhr. Er selbst fuhr mit dieser scharfen Frau aus Hamburg zurück, die er am Strand kennengelernt hatte. Die hatte ein rotes Alfa Romeo Cabriolet. Ich glaube, der Dirk wollte nicht, dass sie seinen Prinz 3 sah. Die Rückfahrt mit Dirks Auto gestaltete sich etwas problematisch, die Kühlung war kaputt, man musste den Wagen die ganze Zeit mit voll aufgedrehtem Heizungsgebläse fahren. Draußen waren dreißig Grad.

Mit einem Prinz 3 konnte man keine Frauen aufreißen. Mit einem NSU TT schon. Der Rüdiger fuhr einen knallroten. Die Elke, mit der er mal was hatte, war etwas durchgeknallt. Hatte jede Woche eine andere Haarfarbe. Swinging London schwappte auch zu uns herüber, obgleich im Englischen Seminar das einzige, das swingte, die Schwingtür zum Romanischen Seminar war. Elke ist mal auf einer Party völlig high nach einer dramatischen Szene aus dem Fenster gesprungen. Sie ist weich gelandet. Die Party war im Erdgeschoss, und vor dem Fenster war weicher grüner Rasen. Ob aus der Geschichte mit Dirk und der scharfen Frau mit dem roten Alfa etwas geworden ist, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass der Dirk ein ganz hohes Tier bei Daimler Benz geworden ist und da bestimmt nie erzählt hat, dass er mal einen NSU Prinz 3 hatte.

Ganz oben auf der Skala der NSU Prinzen stand der NSU Wankel Spider. Hatte die gleiche Karosserie wie der Sport Prinz und war das erste Auto in Deutschland, das einen Wankelmotor hatte. An den Ro 80 dachte man bei NSU damals noch nicht. So klein er war (3,58 lang), so cool war sein Design. Angeblich schaffte er über 150 km/h. Wenn er nicht bei dem Bremer NSU Händler Will van Gels auf dem Hof stand. Bei uns in der Straße stand einer, in genau dieser Farbe. Hatte ein Klinikchef seiner Gattin geschenkt. Er nannte seine Gattin Kiki, das passte zu dem Auto. Das rote Cabrio wurde im Ort als Nitribitt Auto en miniature verspottet (in anderen Gegenden Deutschlands hieß es Facharbeiter Porsche), das gemeine Volk ist gnadenlos in seinem ästhetischen Urteil. Das mit en miniature stimmte schon, der Mercedes 190 SL von Rosemarie Nitribitt war immerhin siebzig Zentimeter länger.

As I sd to my
friend, because I am
always talking,--John, I

sd, which was not his
name, the darkness sur-
rounds us, what

can we do against
it, or else, shall we &
why not, buy a goddamn big car,

drive, he sd, for
christ's sake, look
out where yr going.

Das Gedicht von Robert Creeley musste mal eben sein, um daran zu erinnern, dass hier auch noch Literatur ins Spiel kommt. Was man den bei Besitzern von NSU Fahrzeugen nicht vermuten würde. Ich habe all diese kleinen Geschichten nur erzählt, um zu verdeutlichen, dass die Besitzer von NSU Automobilen ganz normale Menschen waren, die ihre billigen Autos liebten und pflegten. Sie lagen unter ihnen, während ein Freund von oben Wasser hineingoss, damit sie sehen konnten, wo die Löcher im Bodenblech waren. Sie legten vorne kleine Sandsäcke hinein, um die Bodenhaftung zu verbessern. Sie begrüßten andere NSU Fahrer auf der Autobahn mit der Lichthupe. Sie wuschen ihre Autos mit Hingabe. Aber sie hatten nichts mit irgendwelchen Untergrundorganisationen zu tun.

Doch das hat sich heute geändert. NSU hat jetzt einen schlechten Namen. Erst kam dieses Nationalsozialistischer Untergrund, dann kam Frank Witzel. Der hat im letzten Jahr den Deutschen Buchpreis für ein genialisches Sprachkunstwerk ..., das ein großer Steinbruch ist, ein hybrides Kompendium aus Pop, Politik und Paranoia bekommen. Das genialische Sprachkunstwerk, das beinahe so lang wie Tellkamps Der Turm ist, hat den etwas verwirrenden Titel Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969. Es ist ein Werk, das den NSU Prinz 4 literaturfähig gemacht hat:

Die Landstraße schlängelt sich wie auf einer Kinderzeichnung vom grauweißen Horizont zu dem Feld vor meinen Füßen. Und da kommt auch schon ein Auto angefahren. Es ist kein Ferrari 250 GT 12 Zylinder 4 Takt Hubraum 2953 cm3 mit 240 PS und 230 Stundenkilometern, noch nicht mal ein Porsche 501 6 Zylinder 4 Takt Hubraum 1995 cm3 mit 120 PS und 200 Kilometern, sondern nur ein NSU Prinz 2 Zylinder 4 Takt 578 cm3 mit 30 PS, der gerade mal 120 macht, mit Rückenwind, und hier geht es bergauf, raus aus dem verschneiten Dorf, und ich habe noch nicht mal den Mopedführerschein, und Claudia brüllt und Bernd schreit, ich soll mich weiter rechts halten, damit uns die Bullen in den Kurven aus den Augen verlieren, aber das ist gar nicht so leicht, denn unser NSU Prinz hat hinten schlecht aufgepumpte Reifen, sodass ich kaum die Balance halten kann. Trotzdem liegen wir ein ganzes Stück vorn. Hinter uns die Bullen mit ihrem vollbesetzten Mannschaftswagen VW T2 fangen an zu ballern. Die Kugeln schlagen in die Schneewehen und springen vom Straßenasphalt gegen den zitronengelben Lack der Kotflügel. Claudia kramt im Handschuhfach nach einer Waffe. Die ist nicht geladen, sage ich. Wie, nicht geladen? Kein Wasser drin. Wasser? Das ist meine Wasserpistole. Sag mal, spinnst du? schreit Bernd. Wo ist denn die Erbsenpistole? Vergessen, aber die Wasserpistole ist echt gut, die hat vorne nen Ring, da kannst du um die Ecke schießen. Ihr seid Spinner, vollkommene Spinner, ich denk, ihr habt euch das Luftgewehr von Achim geliehen. Der war nicht da, nur seine Oma, und die wollte es nicht rausrücken.

Prinz 4 und Rote Armee Fraktion, konnte der kein anderes Auto nehmen. Schon machen sich die Rezensenten des Buches über den NSU Prinz lustig, gehässige Bemerkungen über das Symbol der deutschen Spießigkeit fallen da schon mal. Ikonen des Bösen betitelte die Zeit ihre Rezension von Frank Witzels Roman. Und da spricht ein gewisser Jens Jessen davon, dass ein NSU Prinz 4 der Inbegriff dämonischer Niedlichkeit im deutschen Kleinwagenbau sei. Er wird es wissen, er kam gerade zur Schule, als der NSU auf die Straße kam.

Er wird auch nicht mitbekommen haben, dass das Land Baden-Würtemberg sogar eine Anzahl dieser Automobile als Einsatzfahrzeuge verwendet hat. Vielleicht hätte Frank Witzel mal den gelben NSU seiner Kleinkriminellen von diesem Auto jagen lassen sollen. Meine Pricipessa war keine Ikone des Bösen und diente niemals als Fluchtwagen. Mit der Staatsmacht kam sie allerdings auch einmal in Berührung. Ich wollte nach Plön zu Georg, der als Lehrer am Schloss abends die Reithalle nutzen durfte, wir spielten da Badminton.

Kurz vor Preetz geriet ich in der Dunkelheit in eine Polizeifalle. Allgemeine Verkehrskontrolle, bellte ein schwer bewaffneter Polizist. Macht euch nicht lächerlich, sagte ich. Wie meinen Sie das? sagte er. Sie haben Ihre Hand an der Wumme, und da vorne liegt einer hinter einem Maschinengewehr, das nennt man kaum eine 'allgemeine Verkehrskontrolle'. Er war voller stiller Wut. Aber als er in meinen Papieren meinen Doktortitel vor dem Namen und meinen Dienstausweis des Landes Schleswig-Holstein sah, schlug seine Aggressivität in Servilität um. Mehr als diese beiden Verhaltensmuster hatte er, wie viele Polizisten damals, nicht drauf. Es war die Zeit von Baader-Meinhof. Ulrike Meinhof sollte damals in Schleswig-Holstein sein, das Gerücht hatte ich auch gehört.

Sie waren ja überall. Und hatten schnelle Autos. Keinen NSU Prinz. In meiner Heimatstadt Bremen - wo Schillers Räuber dank Wilfried Minks auf der Bühne so aussahen - war man vorbereitet. Ein jüngerer Bremer Polizeioffizier schrieb über einen Kollegen, der über die mögliche Ankunft der Baader Meinhof Bande informiert wurde, folgendes ausführte: „Meine Herren,“ hiernach das unvermeidlich im Offizierston geschnarrte „Äh,“ „Das I. Polizeirevier errichtet in Höhe des Mahndorfer Bahnhofs eine Kontrollstelle, die Baader-Meinhoff Bande kommt in Bremen zu Besuch. Die Bahnhof-Meiner-Bande soll nach Erkenntnissen des BKA am Dienstag kommen. Ich bitte um strengste Eigensicherung, äh, da die Baader-Mahndorf-Bande, äh, ich meine natürlich die Bahnhof-Mahndorf-Bande vermutlich schwer bewaffnet ist!

Der Ekke ist damals mal richtig sistiert worden. Wenn da aus Frankreich ein junger Mann mit rotblondem Vollbart in einem versifften Döschewo an der Grenze ankommt, dann ist der schon mal verdächtig. Wenn er mit einem NSU Prinz gekommen wäre, wäre er nicht verdächtig gewesen, aber ein Citroen ist verdächtig. Das weiß man. Also erstmal festhalten und Personalien überprüfen. Nach einer Stunde kam dann ein Fax, das den Grenzern mitteilte, dass ihnen ein echter Düsseldorfer Staatsanwalt ins Netz gegangen war. In der Hysterie der deutschen Hexenjagd war vieles möglich. for christ's sake, look out where yr going.

Die Baader Meinhof Bande fuhr gern BMW. Es machte damals schon ein Witz die Runde, dass BMW für Baader Meinhof Wagen und nicht für Bayrische Motorenwerke stünde. Und es gab BMW Besitzer, die einen Sticker auf ihr Auto klebten, auf dem stand, dass sie keine Terroristen seien. Andreas Baader (der keinen Führerschein besaß) fuhr gerne Luxusautos. Wie einen Iso Rivolta (auffälliger geht es nun wirklich nicht) oder diesen Porsche 911 S Targa. Der natürlich gestohlen war. Auf diesem Photo steht der Besitzer Rainer Schlegelmilch im Keller des BKA vor seinem Porsche. Das orangefarbene Fahrzeug hinter ihm ist ein NSU TT. Ja, auch so etwas hat die Baader Meinhof Bande mal gefahren. Natürlich war der Wagen einem ehrlichen NSU Besitzer geklaut worden.

Meine Principessa hatte ein trauriges Ende. Als ich mir den Peugeot kaufte, ließ mein Vater den NSU einmal gründlich überholen, mit neuen Reifen und allem Pipapo und schenkte ihn dann der Verlobten meines Bruders. Die ließ allerdings kurz vor der Hochzeit meinen Bruder sitzen und brannte mit dem Trauzeugen und dem NSU durch. Und diesen fetten hässlichen Kerl sah ich dann noch jahrelang am Lenkrad meiner Principessa. Es war zum Heulen.

Die Autos aus Neckarsulm werden schon in folgenden Posts erwähnt: WankelmotorTraumwagenCutty SarkFahrstuhl zum SchafottHeinrich VogelerFranco Costa