Heute vor 81 Jahren wurde das amerikanische Gangsterpärchen Bonnie Parker und Clyde Barrow in der Nähe von Sailes (Louisiana) von Polizisten erschossen. Wenige Wochen zuvor hatte Clyde Barrow Henry Ford einen Brief geschrieben: Dear Sir: - While I still have got breath in my lungs I will tell you what a dandy car you make. I have drove Fords exclusivly when I could get away with one. For sustained speed and freedom from trouble the Ford has got ever other car skinned and even if my business hasen't been strickly legal it don't hurt enything to tell you what a fine car you got in the V8 - Yours truly Clyde Champion Barrow. Man diskutiert immer noch darüber, ob der Brief (den Ford nie zu Werbezwecken verwendete) wirklich echt ist.
Der Wagen, in dem Bonnie und Clyde ihren Tod fanden, war natürlich ein neuer Ford V8. Das Auto gehörte dem Ehepaar Jesse und Ruth Warren in Topeka (Kansas). Mrs Warren hatte den Wagen mal kurz draußen auf der Straße stehen lassen und war ins Haus gegangen, schwupps war der Wagen weg. Die Warrens haben ihn zurückbekommen, allerdings mit Löchern. Und Blut auf den Sitzen. Sie konnten ihn aber noch gewinnbringend verkaufen. Er steht heute im Primm Valley Resort and Casino. Das Waffenarsenal, das im Auto war, nahm die Polizei an sich. Das Saxophon von Clyde Barrow auf dem Rücksitz, das von keiner Kugel getroffen wurde, schickte man an die Familie von Barrow zurück.
Man wird als Bankräuber jetzt schnell berühmt in dieser Zeit, die wir die Great Depression nennen. Es ist die große Zeit der Bankräuber in den USA. Viele von ihnen sieht die Bevölkerung in der Tradition von Robin Hood, manche sehen sich in der Tradition von Jesse James. Die Presse scheint sie zu lieben. Mit der Presse konnte schon Al Capone gut umgehen. Jonathan Wild im 18. Jahrhundert auch. Der große englische Historiker Eric Hobsbawm hat in seinem Buch Bandits (dt: Die Banditen: Räuber als Sozialrebellen) einiges zu dem Thema der Beliebtheit zu sagen.
Es sind ja nicht nur die Bankräuber, die da rauben. Zuerst rauben die Banken. Woody Guthrie hat in seiner Ballade über Pretty Boy Floyd gesungen: Yes, as through this world I've wandered I've seen lots of funny men; Some will rob you with a six-gun, And some with a fountain pen. Und in der nächsten Strophe heißt es: And as through your life you travel, Yes, as through your life you roam, You won't never see an outlaw Drive a family from their home. Wenn heute jemand die Deutsche Bank überfallen würden, unser Mitleid wäre begrenzt.
Das Gangsterpärchen Bonnie und Clyde hat Filmregisseure und Dichter immer angezogen. So wie Jonathan Wild die Schriftsteller (John Gay, Daniel Defoe, Henry Fielding und Bertolt Brecht) anzog. Schon drei Jahre nach ihrem Tod im Ford V8 entstand Fritz Langs Film You Only Live Once (Gehetzt), und das sollte nicht das Ende sein. Auch wenn wir heute immer Faye Dunaway als Bonnie Elizabeth Parker assoziieren, ganz so hübsch war die Gangsterbraut wohl nicht. Faye Dunaway ist damals übrigens genau so alt war wie Bonnie Parker, die nur vierundzwanzig wurde, eigentlich sind das ja noch Teenies, die da schwer bewaffnet unterwegs sind. Bonnie Parker posierte nicht nur mit Waffen, sie dichtete auch noch. Zum Beispiel The Trail's End:
You've read the story of Jesse James
Of how he lived and died;
If you're still in need
Of something to read,
Here's the story of Bonnie and Clyde.
Das geht jetzt noch fünfzehn Strophen so weiter, Sie können ➱hier mehr lesen. Auf der Seite finden Sie auch das Gedicht Suicide Gal von Bonnie.
Was auf der Leinwand mit Fritz Langs You Only Live Once begonnen hatte, endete nicht mit Arthur Penns Bonnie and Clyde. Wir haben da noch Natural Born Killers von Oliver Stone (nach einer Story von Quentin Tarantino) und - filmisch viel wichtiger - Terrence Malicks Badlands. Ein Film, der ebenso wie Oliver Stone die Geschichte von Charles Starkweather erzählt, nur etwas anders. Für den Film von Malick gibt es hier schon einen Post, deshalb lasse ich den mal weg.
Am Ende der meisten Filme steht der Tod des Gangsters. Mother of God, is this the end of Rico? sind die letzten Worte von Edward G. Robinson in Little Caesar. Der Gangster darf nicht ungeschoren davonkommen. Der amerikanische Filmkritiker Robert Warshow hat in seinem Essay The Gangster as Tragic Hero dazu gesagt: At bottom, the gangster is doomed because he is under the obligation to succeed, not because the means he employs are unlawful. In the deeper layers of the modern consciousness, all means are unlawful, every attempt to succeed is an act of aggression, leaving one alone and guilty and defenseless among enemies: one is punished for success.
This is our intolerable dilemma: that failure is a kind of death and success is evil and dangerous, is—ultimately—impossible. The effect of the gangster film is to embody this dilemma in the person of the gangster and resolve it by his death. The dilemma is resolved because it is his death, not ours. We are safe; for the moment, we can acquiesce in our failure, we can choose to fail.
Am schönsten ist es natürlich für Cinéasten, wenn im Auto gestorben wird, wie in Bonnie and Clyde. Oder hier in Jacques Tourneurs Film Out of the Past. Wenn Jane Greer zu Robert Mitchum sagt: You dirty, double-crossing rat, und ihn erschießt. Dabei hatte er ihr auf ihren Satz Oh, Jeff, I don't want to die! einmal geantwortet: Neither do I, baby, but if I have to I'm gonna die last. Man kann nicht alles haben, auf jeden Fall nicht im Gangsterfilm. Jane Greer stirbt ihren Filmtod im Kugelhagel der Polizei.
Dann haben wir alles zusammen, was die amerikanische Kultur ausmacht: cars (America's great love affair), sex und violence. 1934 ist ein schlechtes Jahr für Amerikas Gangster: nicht nur Bonnie und Clyde und John Dillinger sterben, sondern auch Baby Face Nelson und Pretty Boy Floyd. Wenn man im Kino erschossen wird wie John Dillinger 1934, dann haben wir natürlich noch mehr an amerikanischer Symbolik.
1933 hatte das Production Code Office die Weisung an die amerikanische Filmindustrie erlassen, dass keine Filme über Dillinger gedreht werden dürften. Man hat Angst vor Nachahmungtätern. Diese Bedenken hatte man in den Jahren zuvor - als zum Beispiel Little Caesar, The Public Enemy und Scarface in die Kinos kamen - offensichtlich nicht.
Aber die wirklichen Kleingangster machen längst mehr Schlagzeilen als Edward G. Robinson, James Cagney, Paul Muni, George Raft und der junge Humphrey Bogart. Und sie sehen auch nicht mehr so aus wie Hollywoods Gangster, das Verbrechen ist von der Großstadt in den ländlichen Süden gewandert. Wenn sie ins Gefängnis wandern, wären die Kreidestreifen Zweireiher, die in Hollywood in den Gangsterfilmen Mode sind, etwas unpassend. Dann sieht man eher so aus wie Raymond und Floyd Hamilton im Dallas County Jail.
Manche der Gangster der dreißiger Jahre werden überleben. Damit meine ich jetzt nicht die Bankiers, die überleben alle. Wenn sie nicht so unvorsichtig waren, am Schwarzen Freitag aus dem Fenster zu springen. John Steinbeck hat das sehr schön beschrieben: Then came panic, and panic changed to dull shock. When the market fell, the factories, mines, and steelworks closed and then no one could buy anything, not even food. People walked around looking as if they'd been slugged. The papers told of ruined men jumping from buildings. When they landed on the pavement, they were really ruined. The uncle of one of my friends was a very rich millionaire. From seven millions he dropped to two millions in a few weeks, but two millions cash. He complained that he didn't know how he was going to eat, cut himself down to one egg for breakfast. His cheeks grew gaunt and his eyes feverish. Finally he shot himself. He figured he would starve to death on two millions. That's how values were.
Die Bankiers überleben immer. Aber auch kleine Gangster wie Floyd Hamilton. Der im Gegensatz zu seinem Bruder Raymond (der auf dem elektrischen Stuhl endet) eher ein kleines Licht ist. Er hatte einen Kumpel namens Huron Ted Walters, mit dem er 1938 die Coca Cola Fabrik in Nashville überfallen hat. Hamilton und Ted The Terrible Walters verbringen einen großen Teil ihres Lebens im Gefängnis. Walters wird 1971 von den Texas Rangers erschossen, hundert Meter von der Stelle entfernt, wo Bonnie und Clyde am April 1934 zwei Polizisten getötet haben.
Arthur Penns Film war die Glamour Version der Geschichte von Bonnie und Clyde: Never mind that Penn’s film famously concludes with a graphic, slow-motion reenactment of the couple’s death in a barrage of gunfire. Contemporary audiences reportedly left theaters in solemn hush, but their silence was born of horror rather than of a sense of justice done. That is because the preceding 110 minutes of screen-time privilege Bonnie and Clyde’s vantage-point, encouraging empathy for the pair’s frustration and their self-importance. Yes, Bonnie and Clyde commit reckless acts of violence, but they look so good doing it. Against the film’s stagy Depression-era backdrop, the couple becomes the embodiment of youth, romance, and yearning. By contrast, their victims barely register, save as faded cardboard cutouts lacking names or narrative. The camera affirms Bonnie and Clyde as the only living things on an otherwise inert and colorless landscape.
Dagegen offerierte Robert Altman 1974 mit Thieves Like Us eine realistischere Version von Kleinverbrechern im ländlichen Mississippi. Für diesen Film wäre Faye Dunaway eine Fehlbesetzung gewesen, da war Shelley Duvall (die viele Filme mit Altman drehte) schon genau richtig. Altmans Thieves Like Us war ein nostalgischer Abgesang auf ein Genre gewesen, aber Gangsterfilme, die Hollywood seit Josef von Sternbergs Underworld drehte, wird es in Amerika wohl immer geben.
Robert Altman hat die Great Depression noch als Kind erlebt. Er hat im Jahr vor Thieves Like Us den Film The Long Goodbye (der hier einen langen Post hat) gedreht, die Verfilmung eines Romans von Raymond Chandler. Auch Thieves Like Us hatte eine literarische Basis. Der gleichnamige Roman von Edward Anderson war schon einmal von Nicholas Ray verfilmt worden, Altman hatte den Film nicht gesehen. Auch die kassenfüllenden gewaltstrotzenden Gangsterfilme, die seit Bonnie and Clyde gedreht worden waren (wie Bloody Mamma, The Grissom Gang oder Boxcar Bertha), interessierten Altman nicht.
Die Banküberfälle eigentlich auch nicht. Aber die Menschen, die dazu getrieben werden schon: Sie sind nicht besser als wir. Sie bestehlen das Volk. Wir brauchen das Geld, also stehlen wir's von den Banken. Alles in allem sind sie Diebe wie wir! Arthur Penns Film war einer der finanziell erfolgreichsten Filme des Jahres 1967, Thieves Like Us war ein Flop. Man fragt sich, was aus Bonnie and Clyde geworden wäre, wenn Jean Luc Godard (den Truffaut als Regisseur empfohlen hatte) ihn gedreht hätte.
Es sind nicht nur die Regisseure, die die Gangster der dreißiger Jahre lieb gewonnen haben, nicht nur die Toten Hosen, die ein kleines ➱Video zu ihrem Song Bonnie und Clyde gedreht haben. Auch die Country & Western Musik bemächtigte sich des Themas. Auch die Dichter sind nicht untätig. Ich habe bei Red Shuttleworth in seinem Band Brief Lives ein Gedicht auf Huron Ted Walters gefunden:
I never said I was some trigger-quick,
matchless Lucky Luciano, Al Capone, or Dillinger.
You got to go a caliber extra in the crime shindig
to be Clyde Barrow or Miss Bonnie Parker,
but I pitched pennies with them. I have a talent
for stealing hens and eggs, for driving Cadillacs,
and once rode steers at rodeos
as far north as Burwell, Nebraska.
I'm a common, decent Texas boy, though my looks
are swank enough for Hollywood, wild sure,
but until I met Clyde, my most daring adventure
was running around on Halloween, tipping outhouses.
I'm in the Dallas jail thanks to Mr. Hoover making me
Public Enemy Number One, your essential R.C. Cola thief.
Bei Rolf Dieter Brinkmann kommt das Thema in seinem Gedicht Ra-ta-ta-ta für Bonnie & Clyde etc. von der Leinwand zurück ins Gedicht.
Wenn man plötzlich auf einem einfachen
weißen Kleid einen Klumpen roten Gelee
zerplatzen sieht, könnte man an das Ende
denken, aber das Ende ist noch weit.
Der Film läuft weiter und Bonnie läuft
weiter und Clyde läuft weiter und wir
laufen alle mit zwischen den Stuhlreihen
und kommen erst zur Ruhe, wenn auch auf
den einfachen weißen Kleidern der Platz-
anweiserinnen ein roter Klumpen Gelee
zerplatzt. Jetzt haben wir wieder Grund
zu laufen, und wir hören noch, wie der Ton
bei der Schlußszene mit dem Maschinen-
gewehrfeuer voll aufgedreht wird zur Freude
von Bonnie und Clyde, den Platz-
anweiserinnen und der ganzen Marmeladenindustrie.
Ich lasse das letzte Wort heute einmal Merle Haggard:
Bonnie was a waitress in a small cafe
Clyde Barrow was the rounder that took her away
They both robbed and killed until both of them died
So goes the Legend of Bonnie and Clyde
The poems that she wrote of the life that they led
Told of the lawmen left dying or dead
Some say that Clyde made her life a shame
But the legend made Bonnie the head of the game
The rampage grew wilder with each passing day
The odds growing smaller with each get-a-way
With the end growing closer the harder they fought
With blood on their hands they were bound to get caught
They drove back from town on one bright summer day
When a man they befriended stepped out in the way
With no thought of dying they pulled to the side
But death lay there waiting for Bonnie and Clyde
Two years or running was ended that day
For robbing and killing they both had to pay
But we'll always remember how they lived and died
So goes the legend of Bonnie and Clyde
Bonnie and Clyde.