Sonntag, 29. November 2015

Tatorte


Heute vor fünfundvierzig Jahren wurde die erste Folge einer neuen Krimireihe ausgestrahlt, die Tatort hieß. Damals war das eine aufregende Sache, es gab noch nicht diese Schwemme von Krimis im Fernsehen wie heute. Wo man jeden Tag mindestens ein halbes Dutzend Krimis sehen kann. Von der Sendung Stahlnetz (Drehbücher von Wolfgang Menge, Regie Jürgen Roland) gab es 22 Folgen in zehn Jahren. Langsam und betulich. Keine Schießereien, keine Blutbäder. Alles in schwarz-weiß. Mit dem ersten Tatort kam Farbe in das deutsche Krimileben.

Und es kam ein wiedererkennbarer Vorspann, der bis heute nicht geändert wurde. Lediglich ein gewisser Til Schweiger, gerade als Hauptkommissar bei der Hamburger Mordkommission eingestellt, ließ über den Vorspann verlauten: Den würde ich gerne ändern. Also das finde ich irgendwie dämlich. Den Vorspann, der ist jetzt wirklich outdated. Und da werde ich für kämpfen, dass bei meinem ersten "Tatort" ein anderer Vorspann läuft. Die Betonung liegt auf dem Wort kämpfen, Til Schweiger kämpft immer.

Das vierzigste Jubiläum des Tatorts ist mir nicht entgangen, ich schrieb heute vor fünf Jahren den Post Tatort. In einem Jahr wird es wieder einen Tatort geben (den tausendsten), der Taxi nach Leipzig heißt, aber ich glaube nicht, dass ich darüber schreiben werde. Heute vor einer Woche wurde der Tatort Der große Schmerz von der ARD abgesetzt. Es war ein Tatort mit Til Schweiger (und Helene Fischer), der der erste Teil eines Dreiteilers war. Auch wenn Walter Richter, der den Hamburger Hauptkommissar Trimmel in dem Tatort Taxi nach Leipzig (➱hier ganz zu sehen) spielt, hier mit einer Pistole bedroht wird, spielen Waffen in diesem Tatort eigentlich keine Rolle.

Das ist in Der große Schmerz etwas anders. Auch hier sehen wir einen Hamburger Hauptkommissar, aber wie hat er sich verändert. Lederjacke statt Anzug. Und Pistole statt Zigarre. Von der Pistole wird Nick Tschiller alias Til Schweiger auch Gebrauch machen. Da können wir sicher sein. Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht hat, einen Schuss daraus abzugeben, hat Tschechow gesagt. In seinem ersten Tatort Willkommen in Hamburg (damals der teuerste Tatort aller Zeiten) gab es sieben Leichen, ein Jahr später in Kopfgeld schon neunzehn Leichen. Und teurer war der Tatort auch. Wahrscheinlich werden hier die Gagen nach dem Bodycount Prinzip gezahlt.

Das war aber noch nicht genug, in dem wegen der Ereignisse in Paris nicht gesendeten Tatort Der große Schmerz gab es siebenundvierzig Tote. Helene Fischer spielt darin eine Killerin - uns bleibt nichts erspart. Die Produzenten waren wahrscheinlich traurig, dass der Filmtitel Leichen pflastern seinen Weg schon vergeben war. Siebenundvierzig (oder waren es fünfzig) Tote gab es auch schon in dem Tatort Im Schmerz geboren mit Ulrich Tukur. Dafür gab es den Grimme Preis. Weshalb man für so etwas den Grimme Preis bekommt, weiß ich wirklich nicht. Vielleicht ist es doch keine so dolle Sache, auf der ➱Vorschlagsliste für den Grimme Preis zu stehen.

Nach Willkommen in Hamburg sagte der NDR Intendant Lutz Marmor (der jetzt auch der Vorsitzende der ARD ist) auf die Frage des Hamburger Abendblatts, ob ihm der Til Schweiger Tatort gefallen hätte: Ich fand ihn gelungen. Dass so viele Menschen zugesehen haben, insbesondere auch Jüngere, hat mich sehr gefreut. Auch ein Erfolgsformat wie der 'Tatort' braucht mal einen neuen Impuls. Deshalb haben wir bei diesem "Tatort" bewusst auf Action und einen Star wie Til Schweiger gesetzt, der sonst nicht in TV-Produktionen zu sehen ist. Lutz Marmor verdient 291.000 Euro. Er beweist damit wieder einmal, dass die Gehälter der Intendanten heutzutage in einem umgekehrten Verhältnis zur Qualität des Senders stehen. Die Formel stimmt nicht immer, zwar bekommt Tom Buhrow als Intendant des Westdeutschen Rundfunks 367.232 Euro im Jahr, aber das Programm des WDR ist auch besser.

Wenn man sich über diese Gehälter aufregt, dann sollte man einmal einen Blick auf die Gehälter der Kommissare im Fernsehen werfen. Die werden nämlich von den Sendeanstalten nicht wie bei der Polizei nach A12 besoldet (eine Besoldungsgruppe unter dem Studienrat), sondern bekommen, wenn sie einen großen Namen haben, so etwas wie 100.000 bis 120.000 Euro pro Folge. Til Schweiger bekommt mehr, man nimmt an, dass er 300.000 Euro pro Tatort erhält. Und bekommt vom NDR noch einen Rentenvertrag. Auf die Frage von Spiegel OnlineUm noch mal auf Til Schweiger zurückzukommen: Es soll ja nur eine 'Tatort'-Folge pro Jahr mit ihm geben. Hat man sein Engagement eigentlich auf eine bestimmte Zeit begrenzt? antwortete Christian GranderathEinen Gehirntumor, wie ihn Ulrich Tukur für seine Rolle im hessischen "Tatort" als Ausstiegsmöglichkeit mit sich herumträgt, werden wir Schweiger ganz bestimmt nicht andichten. Falls er ein biblisches Alter wie Jopie Heesters erreicht, kann er gerne auch noch im Jahr 2068 in Hamburg ermitteln.

Für den Drehbuchautor Christoph Darnstädt, dessen Mutter Kinderbücher schrieb, ist Til Schweiger ein Held. Der Mediendienst Teleschau urteilte über Der große SchmerzFür Männer mit überdurchschnittlich hohem Testosteronspiegel und postpubertären Gewaltfantasien ist das alles ganz fraglos ein Fest. Alle anderen schalten besser beizeiten das Hirn aus. Und das Fernsehen gar nicht erst an. Allerdings ist das alles mit dem Geld der Hörer bezahlt worden, und man wagt es überhaupt nicht, das Wort vom Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender auszusprechen. Vom Volk bezahlte Verblödung betitelte vor Jahren Jens Jessen seinen Artikel in der Zeit.

Aus Respekt vor den Opfern der grausamen Anschläge von Paris haben wir die Premiere der 'Tatorte' mit Til Schweiger auf das kommende Jahr geschoben, sagte der NDR Programmdirektor Fernsehen Frank Beckmann. Es passt einfach nicht in diese Wochen, eine Krimireihe zu zeigen, in der es auch um einen terroristischen Angriff geht. Und statt jetzt einfach mal sein großes Maul zu halten, musste Til Schweiger wenig später dem Stern sagen: Die Terror-Anschläge in Paris haben mich unglaublich wütend, traurig und fassungslos gemacht. Ich finde aber, wir sollten uns nicht von Terroristen diktieren lassen, wie wir leben sollen, uns nicht unsere Freiheit rauben lassen, und dazu gehört auch die, was wir im Fernsehen zeigen.

In Taxi nach Leipzig gab es keine Schießereien, es gab nur die traurige Geschichte von einem toten Kind. Die Vorlage von Taxi nach Leipzig war ein Roman von Friedhelm Werremeier, der zuerst in der Krimireihe von Richard K. Flesch bei Rowohlt erschienen war (zuerst noch unter Werremeiers Pseudonym Jacob Wittenburg). Den Hauptkommissar Trimmel hatte der NDR schon einmal auf den Bildschirm gebracht, der Fernsehfilm hieß Exklusiv! (nach dem Roman Ich verkaufe mich exklusiv von Friedhelm Werremeier aus dem Jahr 1968).  Die Erstausstrahlung des Films fand am 26. Oktober 1969 in der ARD statt. Exklusiv! wurde nachträglich in die Tatort Serie eingereiht und als Folge 9 der Reihe im Juli 1971 ausgestrahlt. In Exklusiv! trägt Kommissar Trimmel schon sein blaues Hemd, das ihn mit diesem Gangsterlook ein wenig wie Jean Gabin in Pépé le Moko aussehen lässt.

Taxi nach Leipzig war eine Romanverfilmung. Das ist außer Mode gekommen (die Kluftinger Krimis haben keinen Platz im Tatort bekommen), heute hat man Drehbuchautoren. Einen habe ich mal kennengelernt. Ich sah den weißen TR4, den mein Bruder gerade verkauft hatte, immer bei meinem Bierhändler stehen. Als ich das meinem Bruder sagte, brachte er mit einen großen Karton mit Ersatzteilen und das Owner's Manual und sagte mir, ich solle das mal dem neuen Besitzer bringen. Der Bierhändler wusste, wo der Mann wohnte. Leider wohnte der im vierten Stock, der Karton mit den Ersatzteilen war sehr schwer. Wir hatten dann aber einen netten Nachmittag. Er hatte gerade sein zweites Tatort Drehbuch an die ARD verkauft und hatte sich diesen TR4 gegönnt, den auch Catherine Deneuve in Polanskis Ekel fährt (und den auch die englische Polizei einmal als Dienstwagen einsetzte). Damals kannte ihn noch niemand, heute ist er groß im Geschäft.

Und da wir gerade bei Automobilen sind: in den deutschen Tatorten gibt es wenig Exotisches. Trimmel fährt einen Ford Taunus, das passt zu ihm. Exotischer ist da schon der weiße Porsche 356 C, den der Zollfahnder Kressin fährt. Aber der ist wahrscheinlich nur ausgeliehen. Ulrich Tukur fährt mal einen Ro80, doch da hört es auch schon auf.

So schöne Autos wie Columbo (Peugeot 403 Cabriolet) oder Morse (Jaguar) haben sie alle nicht, nur wenn sie sich mal was aus der Asservatenkammer leihen. Es wäre schön wenn man Til Schweiger einen Opel Manta als Dienstwagen gegeben hätte, denn in dem Film Manta, Manta, da war er ganz er selbst. In der Fernsehwerbung macht Schweiger Autos kaputt. Er ist der Nachfolger von Dieter Bohlen als Gesicht der VHV Versicherung.

Alle Schauspieler in Taxi nach Leipzig kamen vom Theater (auch Günther Lamprecht, der in einer Nebenrolle als Vopo gleich am Anfang des Films zu sehen ist). Walter Richter war Staatsschauspieler und Kammerschauspieler in München. Hans Peter Hallwachs kannte ich noch von der Bühne in Bremen zu Zadeks Zeiten, mein witziges Erlebnis mit Hallwachs und Bruno Ganz bei der Hamlet Aufführung habe ich schon in den Post Richard Lester hineingeschrieben

Und dann war da noch Renate Schroeter, für die schwärmte ich damals sowieso. Es ist sicher etwas anderes, wenn richtige Schauspieler von der Bühne in einem Fernsehfilm auftreten, statt der üblichen bekannten Seriendarsteller, die nur im Fernsehen groß geworden sind. Taxi nach Leipzig war der erste Film des studierten Juristen Peter Schulze-Rohr, der zuvor Chefdramaturg beim Südwestfunk und Redakteur und Regisseur beim NDR gewesen war. Dies war solides deutsches Handwerk, ohne Blutbad und Leichen. Aber so sind die Filme der Serie Tatort leider nicht geblieben.

Ist der Krimi ein Psychogramm der Gesellschaft? Siegfried Kracauer hat es mit seinem Buch From Caligari to Hitler: A Psychological History of the German Film vorgemacht, dass man Filme so lesen kann. Es wäre eine interessante Sache, einmal die Tatort Folgen aus den letzten 45 Jahre auf ihre transportierte Ideologie, ihre Darstellung der Gesellschaft und ihre Helden zu untersuchen. In Taxi nach Leizig konnte man ein Deutschland von 1970 durchaus wieder erkennen, wenn man so will, sogar zwei Deutschlands.

Nicht jedes Drehbuch, jede Geschichte, jedes Thema ist gleich gut oder reizt einen. Aber wenn man den Tatort mit anderen Serien vergleicht, ist er immer noch deutlich realistischer, vielfältiger und politischer. Ob Kindesmissbrauch, Asylrecht, Kriegseinsatz in Afghanistan, der Umgang mit Neuen Medien, die alternde Gesellschaft oder Fußball – was politisch relevant ist, kommt auch vor. Und zwar nicht nur in den schicken Münchener Gegenden, die man von Derrick kennt sondern in Ludwigshafen am Rhein, in Münster, Kiel, Berlin oder München. Das ist schon ziemlich konkurrenzlos. Der Mann, der hier über die Sendung Tatort redet, ist kein Intendant oder Programmdirektor. Er ist Politiker und ist sehr, sehr stolz auf seine Sammlung von Tatort Sendungen, er hat sie alle. Ansonsten sind seine intellektuellen Interessen eher gering. Er ist einer von uns.

Tatort Sendungen sind natürlich nicht die Realität, die Reihe ist ein Kunstprodukt mit eigenen Regeln. Wie Detektivromane. In ihrem Buch The Long Week-End haben Robert Graves und Alan Hodge (der Ghostwriter von Winston Churchill) den wunderbaren Satz Detective novels, however, were no more intended to be judged by realistic standards than one would judge Watteau's shepherds and shepherdesses in terms of contemporary sheep-farming mit leichter Hand dahingeworfen. Auch der Tatort hat nicht mit der wirklichen Polizeiarbeit und dem wirklichen Verbrechen zu tun, wenn Sie den Artikel Der Fall 'Tatort' von Sabine Rückert lesen, wissen Sie alles darüber.

Tatort: ein Kunstprodukt mit eigenen Regeln. Wir können auch den Begriff des Genres ins Spiel bringen. Und den schönen Satz von Raymond Chandler zitieren: To accept a mediocre form and make something like literature out of it is in itself rather an accomplishment. Das wäre es doch - den Tatort als Form akzeptieren wie er ist und ihn filmisch und schauspielerisch besser zu machen. Denn das Genre hat sich totgelaufen. Oder wie Gustl Bayrhammer (der den Hauptkommissar Veigl spielte) bei seinem Abgang so treffend sagte: Des Krimifach, des is doch scho lang a abg’mahte Wies’n. Doa passiert nix mehr. Doch Qualität wollen die Intendanten und Programmdirektoren nicht, sie setzen lieber auf den Genremix (ich habe darüber schon böse Worte in dem Post Inspector Gently gesagt), die Hybridisierung des Genres.

Das Fernsehen mit seinen zu hoch bezahlten Intendanten setzt auf Quote, und Quote macht man nicht, wenn man Qualitätsfernsehen macht. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass der Bruce Willis Verschnitt Til Schweiger noch 2068 ermittelt, aber vorerst bringt er Quote. Wegen der vielen Leichen. Da greift ein Kommissar schon mal zur Panzerfaust, der typischen Dienstwaffe von Hamburger Hauptkommissaren, damit das mit dem Bodycount in den Programmzeitschriften auch stimmt.

Die Rachetragödien des elisabethanischen und jakobäischen Zeitalters brachten sicher auch Zuschauer. Sie kommen in den letzten Jahren vermehrt auf englische Bühnen (Although it is four centuries since revenge tragedies like this first appeared on stage, they have lost little of their charge. And it seems we can't get enough of them, schrieb der Guardian). Und kommen im Film besonders gut rüber, wenn man sie noch mit einer nackten Charlotte Rampling (in Addio, fratello crudele, einer italienischen Verstümmelung von 'Tis Pity She's a Whore) garnieren kann. Der englische Regisseur Declan Donnellan, der zahlreiche dieser Stücke inzeniert hat (auch 'Tis Pity She's a Whore), sagte dazu: A really good horror reminds you that you're not just the victim; you're also the monster. Psycho is a great film because of the very subtle shifts of identification. You're not just the woman who is murdered in the shower, you're also the murderer. It's entertainment at the deepest level.

Die Schamfrist der ARD, der Respekt vor den Opfern der grausamen Anschläge von Paris, geht im Januar zu Ende. Dann kann man die ersten beiden Teile von Til Schweigers Gemetzel sehen. Und wer es bis dahin nicht aushält, der kann sich ja all die Snuff, Gore und Slasher Filme ansehen, die das Internet zu bieten hat. Wir sollten uns nicht von Terroristen diktieren lassen, wie wir leben sollen, uns nicht unsere Freiheit rauben lassen, und dazu gehört auch die, was wir im Fernsehen zeigen. Goya hat gesagt El sueño de la razón produce monstruos, der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.


Mittwoch, 24. Juni 2015

Queen


Natürlich heißen wir sie willkommen, dieser Blog hat viel für Königinnen übrig. Viele waren schon hier in diesem Blog. Der Bestseller unter den royalen Posts heißt erstaunlicherweise Anne Boleyn, ich hätte eigentlich eher auf Teckel & Corgwn getippt. Mit der englischen Königin kommt jetzt auch ein Wiedergänger auf die Bildschirme zurück, ein journalistischer Schnarchsack, den man sich besser erspart hätte. Sie kennen ihn seit Jahrzehnten, er ist beinahe so alt wie die Königin.

Er heißt Rolf Seelmann-Eggebert, und die Königin hat ihn vor Jahren zum Commander des Order of the British Empire gemacht, mehr kann er als Deutscher nicht kriegen. Ich weiß nicht, wofür er den Orden bekommen hat, für seine Kommentare bei der Last Night of the Proms kann es nicht gewesen sein. Man hat ihn auch nicht gefragt, als es darum ging, die königliche Familie ein Jahr lang zu filmen. Der Film Monarchy: The Royal Family at Work (hier in vier Teilen) ist glücklicherweise von Engländern gedreht worden. Unser Bundespräsident bekommt von der Königin bestimmt auch einen Orden. Er selbst kann sich nicht revanchieren, seit 1992 ist die Königin Trägerin der Sonderstufe des Bundesverdienstkreuzes. Mehr haben wir nicht.

Bei ihrem ersten Besuch vor fünfzig Jahren (damals habe ich sie gesehen) fuhr sie im Mercedes durch Deutschand, jetzt ist es die Bentley Staatslimousine in der Farbe des königlichen Fuhrparks (royal claret), sechs Meter lang. Die war schon einige Tage vor der Königin in Berlin, kam per LKW Anhänger. Wahrscheinlich zu groß und zu schwer für die Straße, das Ding wiegt dreimal so viel wie mein alter Golf. Das erinnert mich an die britischen Chieftain Panzer vor fünfzig Jahren, die wurden auch immer auf einem Anhänger herumgefahren.

Vielleicht mochte Philip auch keinen Mercedes, wo ihm doch 1965 ein kleines Malheur passiert war. Das Sondermodell Mercedes 600 Landaulet, das Daimler Benz der Regierung zur Verfügung gestellt hatte, besaß elektrische Fensterheber. Heute serienmäßig, damals eine Sensation. Philip hat so lange mit dem Fensterheber gespielt, bis die Elektrik aufgab. Der Mercedes blieb in Bonn liegen, Elizabeth und Philip mussten umsteigen. Ansonsten ist gegen einen Bentley aus deutscher Sicht natürlich nichts zu sagen, da die Firma dem selben Hersteller gehört, der meinen Golf gebaut hat.

Sieben Jahre, bevor die Königin damals nach Deutschland kam, war Theodor Heuss in England gewesen. Philip hat am Abend zu seinem Frack Kniebundhosen (natürlich mit dem Hosenbandorden) und Seidenstrümpfe getragen, Theodor Heuss natürlich lange Hosen. Bald nach dem Besuch sagte Philip: Mit Deutschenhaß allein können wir nicht überleben. Es ist eine öde Beschäftigung, sich über die Geschichte zu ärgern, und sie macht blind für die Aufgaben der Zukunft. Das war der Beginn eines britisch-deutschen Tauwetters. Seitdem mögen wir uns wieder. Heute fährt die Königin Volkswagen.

Der diesjährige Staatsbesuch weicht ein wenig von der üblichen Norm ab, denn die Königin wird auch Bergen-Belsen besuchen. Das habe ich schon in dem Post Bergen-Belsen geschrieben. Ich las gestern in der Zeitung, dass Bergen-Belsen das einzige Lager sei, dass die Briten befreit haben. Das ist nicht richtig, es ist wohl etwas in Vergessenheit geraten, dass General Horrocks das Lager Sandbostel befreit hat. Sie können dazu mehr in den Posts 8. Mai 1945, Léo Malet und Fernandel lesen.

Ich habe heute für Sie ein kleines Gedicht (die Königin kennt das schon) mit dem Titel The Crown, das ihre Hofdichterin Carol Ann Duffy zum sechzigsten Krönungsjubiläum geschrieben hat.

The crown translates a woman to a Queen –
endless gold, circling itself, an O like a well,
fathomless, for the years to drown in – history's bride,
anointed, blessed, for a crowning. One head alone
can know its weight, on throne, in pageantry,
and feel it still, in private space, when it's lifted:
not a hollow thing, but a measuring; no halo,
treasure, but a valuing; decades and duty. Time-gifted,
the crown is old light, journeying from skulls of kings
to living Queen.

Its jewels glow, virtues; loyalty's ruby, blood-deep; sapphire's ice resilience; emerald evergreen;
the shy pearl, humility. My whole life, whether it be long
or short, devoted to your service. Not lightly worn.

Lesen Sie auch: ➱Lisbeth, ➱Teckel & Corgwn, ➱Theodor Heuss

Samstag, 23. Mai 2015

Bonnie und Clyde


Heute vor 81 Jahren wurde das amerikanische Gangsterpärchen Bonnie Parker und Clyde Barrow in der Nähe von Sailes (Louisiana) von Polizisten erschossen. Wenige Wochen zuvor hatte Clyde Barrow Henry Ford einen Brief geschrieben: Dear Sir: - While I still have got breath in my lungs I will tell you what a dandy car you make. I have drove Fords exclusivly when I could get away with one. For sustained speed and freedom from trouble the Ford has got ever other car skinned and even if my business hasen't been strickly legal it don't hurt enything to tell you what a fine car you got in the V8 - Yours truly Clyde Champion Barrow. Man diskutiert immer noch darüber, ob der Brief (den Ford nie zu Werbezwecken verwendete) wirklich echt ist.

Der Wagen, in dem Bonnie und Clyde ihren Tod fanden, war natürlich ein neuer Ford V8. Das Auto gehörte dem Ehepaar Jesse und Ruth Warren in Topeka (Kansas). Mrs Warren hatte den Wagen mal kurz draußen auf der Straße stehen lassen und war ins Haus gegangen, schwupps war der Wagen weg. Die Warrens haben ihn zurückbekommen, allerdings mit Löchern. Und Blut auf den Sitzen. Sie konnten ihn aber noch gewinnbringend verkaufen. Er steht heute im Primm Valley Resort and Casino. Das Waffenarsenal, das im Auto war, nahm die Polizei an sich. Das Saxophon von Clyde Barrow auf dem Rücksitz, das von keiner Kugel getroffen wurde, schickte man an die Familie von Barrow zurück.

Man wird als Bankräuber jetzt schnell berühmt in dieser Zeit, die wir die Great Depression nennen. Es ist die große Zeit der Bankräuber in den USA. Viele von ihnen sieht die Bevölkerung in der Tradition von Robin Hood, manche sehen sich in der Tradition von Jesse James. Die Presse scheint sie zu lieben. Mit der Presse konnte schon Al Capone gut umgehen. Jonathan Wild im 18. Jahrhundert auch. Der große englische Historiker Eric Hobsbawm hat in seinem Buch Bandits (dt: Die Banditen: Räuber als Sozialrebellen) einiges zu dem Thema der Beliebtheit zu sagen.
Es sind ja nicht nur die Bankräuber, die da rauben. Zuerst rauben die Banken. Woody Guthrie hat in seiner Ballade über Pretty Boy Floyd gesungen: Yes, as through this world I've wandered I've seen lots of funny men; Some will rob you with a six-gun, And some with a fountain pen. Und in der nächsten Strophe heißt es: And as through your life you travel, Yes, as through your life you roam, You won't never see an outlaw Drive a family from their home. Wenn heute jemand die Deutsche Bank überfallen würden, unser Mitleid wäre begrenzt.

Das Gangsterpärchen Bonnie und Clyde hat Filmregisseure und Dichter immer angezogen. So wie Jonathan Wild die Schriftsteller (John Gay, Daniel Defoe, Henry Fielding und Bertolt Brecht) anzog. Schon drei Jahre nach ihrem Tod im Ford V8 entstand Fritz Langs Film You Only Live Once (Gehetzt), und das sollte nicht das Ende sein. Auch wenn wir heute immer Faye Dunaway als Bonnie Elizabeth Parker assoziieren, ganz so hübsch war die Gangsterbraut wohl nicht. Faye Dunaway ist damals übrigens genau so alt war wie Bonnie Parker, die nur vierundzwanzig wurde, eigentlich sind das ja noch Teenies, die da schwer bewaffnet unterwegs sind. Bonnie Parker posierte nicht nur mit Waffen, sie dichtete auch noch. Zum Beispiel The Trail's End:

You've read the story of Jesse James
Of how he lived and died;
If you're still in need
Of something to read,
Here's the story of Bonnie and Clyde.

Das geht jetzt noch fünfzehn Strophen so weiter, Sie können ➱hier mehr lesen. Auf der Seite finden Sie auch das Gedicht Suicide Gal von Bonnie.

Was auf der Leinwand mit Fritz Langs You Only Live Once begonnen hatte, endete nicht mit Arthur Penns Bonnie and Clyde. Wir haben da noch Natural Born Killers von Oliver Stone (nach einer Story von Quentin Tarantino) und - filmisch viel wichtiger - Terrence Malicks Badlands. Ein Film, der ebenso wie Oliver Stone die Geschichte von Charles Starkweather erzählt, nur etwas anders. Für den Film von Malick gibt es hier schon einen Post, deshalb lasse ich den mal weg.

Am Ende der meisten Filme steht der Tod des Gangsters. Mother of God, is this the end of Rico? sind die letzten Worte von Edward G. Robinson in Little Caesar. Der Gangster darf nicht ungeschoren davonkommen. Der amerikanische Filmkritiker Robert Warshow hat in seinem Essay The Gangster as Tragic Hero dazu gesagt: At bottom, the gangster is doomed because he is under the obligation to succeed, not because the means he employs are unlawful. In the deeper layers of the modern consciousness, all means are unlawful, every attempt to succeed is an act of aggression, leaving one alone and guilty and defenseless among enemies: one is punished for success.

This is our intolerable dilemma: that failure is a kind of death and success is evil and dangerous, is—ultimately—impossible. The effect of the gangster film is to embody this dilemma in the person of the gangster and resolve it by his death. The dilemma is resolved because it is his death, not ours. We are safe; for the moment, we can acquiesce in our failure, we can choose to fail.

Am schönsten ist es natürlich für Cinéasten, wenn im Auto gestorben wird, wie in Bonnie and Clyde. Oder hier in Jacques Tourneurs Film Out of the Past. Wenn Jane Greer zu Robert Mitchum sagt: You dirty, double-crossing rat, und ihn erschießt. Dabei hatte er ihr auf ihren Satz Oh, Jeff, I don't want to die! einmal geantwortet: Neither do I, baby, but if I have to I'm gonna die last. Man kann nicht alles haben, auf jeden Fall nicht im Gangsterfilm. Jane Greer stirbt ihren Filmtod im Kugelhagel der Polizei.

Dann haben wir alles zusammen, was die amerikanische Kultur ausmacht: cars (America's great love affair), sex und violence. 1934 ist ein schlechtes Jahr für Amerikas Gangster: nicht nur Bonnie und Clyde und John Dillinger sterben, sondern auch Baby Face Nelson und Pretty Boy Floyd. Wenn man im Kino erschossen wird wie John Dillinger 1934, dann haben wir natürlich noch mehr an amerikanischer Symbolik.

1933 hatte das Production Code Office die Weisung an die amerikanische Filmindustrie erlassen, dass keine Filme über Dillinger gedreht werden dürften. Man hat Angst vor Nachahmungtätern. Diese Bedenken hatte man in den Jahren zuvor - als zum Beispiel Little CaesarThe Public Enemy und Scarface in die Kinos kamen - offensichtlich nicht.

Aber die wirklichen Kleingangster machen längst mehr Schlagzeilen als Edward G. Robinson, James Cagney, Paul Muni, George Raft und der junge Humphrey Bogart. Und sie sehen auch nicht mehr so aus wie Hollywoods Gangster, das Verbrechen ist von der Großstadt in den ländlichen Süden gewandert. Wenn sie ins Gefängnis wandern, wären die Kreidestreifen Zweireiher, die in Hollywood in den Gangsterfilmen Mode sind, etwas unpassend. Dann sieht man eher so aus wie Raymond und Floyd Hamilton im Dallas County Jail.

Manche der Gangster der dreißiger Jahre werden überleben. Damit meine ich jetzt nicht die Bankiers, die überleben alle. Wenn sie nicht so unvorsichtig waren, am Schwarzen Freitag aus dem Fenster zu springen. John Steinbeck hat das sehr schön beschrieben: Then came panic, and panic changed to dull shock. When the market fell, the factories, mines, and steelworks closed and then no one could buy anything, not even food. People walked around looking as if they'd been slugged. The papers told of ruined men jumping from buildings. When they landed on the pavement, they were really ruined. The uncle of one of my friends was a very rich millionaire. From seven millions he dropped to two millions in a few weeks, but two millions cash. He complained that he didn't know how he was going to eat, cut himself down to one egg for breakfast. His cheeks grew gaunt and his eyes feverish. Finally he shot himself. He figured he would starve to death on two millions. That's how values were.

Die Bankiers überleben immer. Aber auch kleine Gangster wie Floyd Hamilton. Der im Gegensatz zu seinem Bruder Raymond (der auf dem elektrischen Stuhl endet) eher ein kleines Licht ist. Er hatte einen Kumpel namens Huron Ted Walters, mit dem er 1938 die Coca Cola Fabrik in Nashville überfallen hat. Hamilton und Ted The Terrible Walters verbringen einen großen Teil ihres Lebens im Gefängnis. Walters wird 1971 von den Texas Rangers erschossen, hundert Meter von der Stelle entfernt, wo Bonnie und Clyde am April 1934 zwei Polizisten getötet haben.

Arthur Penns Film war die Glamour Version der Geschichte von Bonnie und Clyde: Never mind that Penn’s film famously concludes with a graphic, slow-motion reenactment of the couple’s death in a barrage of gunfire. Contemporary audiences reportedly left theaters in solemn hush, but their silence was born of horror rather than of a sense of justice done. That is because the preceding 110 minutes of screen-time privilege Bonnie and Clyde’s vantage-point, encouraging empathy for the pair’s frustration and their self-importance. Yes, Bonnie and Clyde commit reckless acts of violence, but they look so good doing it. Against the film’s stagy Depression-era backdrop, the couple becomes the embodiment of youth, romance, and yearning. By contrast, their victims barely register, save as faded cardboard cutouts lacking names or narrative. The camera affirms Bonnie and Clyde as the only living things on an otherwise inert and colorless landscape. 

Dagegen offerierte Robert Altman 1974 mit Thieves Like Us eine realistischere Version von Kleinverbrechern im ländlichen Mississippi. Für diesen Film wäre Faye Dunaway eine Fehlbesetzung gewesen, da war Shelley Duvall (die viele Filme mit Altman drehte) schon genau richtig. Altmans Thieves Like Us war ein nostalgischer Abgesang auf ein Genre gewesen, aber Gangsterfilme, die Hollywood seit Josef von Sternbergs Underworld drehte, wird es in Amerika wohl immer geben.

Robert Altman hat die Great Depression noch als Kind erlebt. Er hat im Jahr vor Thieves Like Us den Film The Long Goodbye (der hier einen langen Post hat) gedreht, die Verfilmung eines Romans von Raymond Chandler. Auch Thieves Like Us hatte eine literarische Basis. Der gleichnamige Roman von Edward Anderson war schon einmal von Nicholas Ray verfilmt worden, Altman hatte den Film nicht gesehen. Auch die kassenfüllenden gewaltstrotzenden Gangsterfilme, die seit Bonnie and Clyde gedreht worden waren (wie Bloody MammaThe Grissom Gang oder Boxcar Bertha), interessierten Altman nicht.

Die Banküberfälle eigentlich auch nicht. Aber die Menschen, die dazu getrieben werden schon: Sie sind nicht besser als wir. Sie bestehlen das Volk. Wir brauchen das Geld, also stehlen wir's von den Banken. Alles in allem sind sie Diebe wie wir! Arthur Penns Film war einer der finanziell erfolgreichsten Filme des Jahres 1967, Thieves Like Us war ein Flop. Man fragt sich, was aus Bonnie and Clyde geworden wäre, wenn Jean Luc Godard (den Truffaut als Regisseur empfohlen hatte) ihn gedreht hätte.

Es sind nicht nur die Regisseure, die die Gangster der dreißiger Jahre lieb gewonnen haben, nicht nur die Toten Hosen, die ein kleines ➱Video zu ihrem Song Bonnie und Clyde gedreht haben. Auch die Country & Western Musik bemächtigte sich des Themas. Auch die Dichter sind nicht untätig. Ich habe bei Red Shuttleworth in seinem Band Brief Lives ein Gedicht auf Huron Ted Walters gefunden:

I never said I was some trigger-quick,
matchless Lucky Luciano, Al Capone, or Dillinger.
You got to go a caliber extra in the crime shindig
to be Clyde Barrow or Miss Bonnie Parker,
but I pitched pennies with them. I have a talent
for stealing hens and eggs, for driving Cadillacs,
and once rode steers at rodeos
as far north as Burwell, Nebraska.
I'm a common, decent Texas boy, though my looks
are swank enough for Hollywood, wild sure,
but until I met Clyde, my most daring adventure
was running around on Halloween, tipping outhouses.
I'm in the Dallas jail thanks to Mr. Hoover making me
Public Enemy Number One, your essential R.C. Cola thief.

Bei Rolf Dieter Brinkmann kommt das Thema in seinem Gedicht Ra-ta-ta-ta für Bonnie & Clyde etc. von der Leinwand zurück ins Gedicht.

Wenn man plötzlich auf einem einfachen
weißen Kleid einen Klumpen roten Gelee
zerplatzen sieht, könnte man an das Ende

denken, aber das Ende ist noch weit.
Der Film läuft weiter und Bonnie läuft
weiter und Clyde läuft weiter und wir

laufen alle mit zwischen den Stuhlreihen
und kommen erst zur Ruhe, wenn auch auf
den einfachen weißen Kleidern der Platz-

anweiserinnen ein roter Klumpen Gelee
zerplatzt. Jetzt haben wir wieder Grund
zu laufen, und wir hören noch, wie der Ton

bei der Schlußszene mit dem Maschinen-
gewehrfeuer voll aufgedreht wird zur Freude
von Bonnie und Clyde, den Platz-
anweiserinnen und der ganzen Marmeladenindustrie.

Ich lasse das letzte Wort heute einmal Merle Haggard:

Bonnie was a waitress in a small cafe
Clyde Barrow was the rounder that took her away
They both robbed and killed until both of them died
So goes the Legend of Bonnie and Clyde
The poems that she wrote of the life that they led
Told of the lawmen left dying or dead
Some say that Clyde made her life a shame
But the legend made Bonnie the head of the game
The rampage grew wilder with each passing day
The odds growing smaller with each get-a-way
With the end growing closer the harder they fought
With blood on their hands they were bound to get caught
They drove back from town on one bright summer day
When a man they befriended stepped out in the way
With no thought of dying they pulled to the side
But death lay there waiting for Bonnie and Clyde
Two years or running was ended that day
For robbing and killing they both had to pay
But we'll always remember how they lived and died
So goes the legend of Bonnie and Clyde
Bonnie and Clyde.

Montag, 11. Mai 2015

Endeavour


In Death Is Now My Neighbour, einer der letzten Folgen der englischen Krimiserie Morse, lernt Chief Inspector Morse diese hübsche Frau (Judy Loe) kennen. Und verliebt sich sofort. Er sieht sie zum ersten Mal, als sie gerade eine Musikstudentin am Klavier begleitet. Die Studentin (Nina Tilbury) singt Cherubinos Non so piu cosa son, cosa faccio aus der Oper Le Nozze di Figaro. Enthusiastisch, aber ein klein wenig schräg neben der Tonspur. So sieht es die Rolle wohl vor (Sie können hier ab Minute 13:20 hineinhören). Wenn Sie eine richtige Opernsängerin mit dieser Arie hören wollen, dann klicken Sie hier Liliana Nikiteanu an (oder dies ab Minute 18:30, aber das ist auch etwas schräg).

Es ist viel Musik in den Folgen von Inspector Morse, The Death of the Self zum Beispiel entführt uns nach Vicenza. Und dann nach Verona, wo die Opernsängerin Nicole Burgess (gespielt von Frances Barber) Signore, ascolta aus Puccinis Turandot singt. Sie können das ➱hier ab Minute 1:37 sehen und hören. Frances Barber sieht dabei richtig überzeugend aus, aber die Schauspielerin hat den Part nicht wirklich gesungen, es war die Stimme von Janis Kelly.

Das Signore, ascolta gibt es natürlich (ebenso wie das Nessun Dorma) massenhaft im Internet, Sie könnten Ekaterina Shcherbachenko hier hören. Wenn Sie lieber die Callas hören wollen, dann klicken Sie hier. Die Aufnahme ist über fünfzig Jahre älter, hat aber große Momente. Und wiederum auch nicht. Wir können auch hören, welche Schwierigkeiten sie mit Puccini hat. Aber Walter Legge von der EMI hatte sie da hinein gequatscht, er wollte aus seinem Star alles herausholen. Finanziell gesehen. Er wusste, dass ihre Stimme bald nicht mehr das sein würde, was sie einmal war.

Morse singt im Kirchenchor, er ist aber nicht The Singing Detective. Das ist eine Serie von Dennis Potter, die sehr sophisticated ist (das Remake von 2003 möchte ich lieber nicht erwähnen). Sozusagen Krimi für Fortgeschrittene. Lichtjahre entfernt von Til Schweigers Tatort Kommissar. Morse wird in der Serie jede Gelegenheit nutzen, um in die Oper zu kommen. Am Ende von Promised Land schafft er es noch in die neue Oper von Sydney. Und wenn sein Chef in The Way Through the Woods zu ihm sagt: You should've been here last summer. You only got the tail-end of it. Off sunning yourself in Beirut, kann Morse das nur trocken mit Bayreuth kommentieren.

In der ersten Folge der Serie (The Dead of Jericho) spielt Morse den Tristan Akkord auf dem Klavier der toten Klavierlehrerin, er liebt nun einmal Wagner. Er ist nicht der erste musikalische Detektiv in der Geschichte der Krimiliteratur. Sherlock Holmes (hier Benedict Cumberbatch in der Rolle) spielte Geige, Lord Peter Wimsey Klavier. Holmes besaß sogar eine Stradivari. Das erzählt uns auf jeden Fall Dr Watson: We had a pleasant little meal together, during which Holmes would talk about nothing but violins, narrating with great exultation how he had purchased his own Stradivarius, which was worth at least five hundred guineas, at a Jew broker’s in Tottenham Court Road for fifty-five shillings.

Wir wollen mal hoffen, dass die Stradivari wirklich echt war. Frank Peter Zimmermann musste seine Stradivari (die den Namen Lady Inchiquin hatte) ja leider gerade zurückgeben. Aber es sind nicht nur die englischen gentleman detectives, die der Musik zugetan sind, wenn sie nicht sogar Komponisten sind wie Robert Bruce Montgomery. Der unter dem Pseudonym Edmund Crispin diese wunderbar schrägen Professor Fen Romane schrieb. Auch die amerikanischen hard-boiled Kollegen der gentleman detectives sind nicht frei von musikalen Neigungen. In Chandlers Erzählung I'll Be Waiting (die hier einen Post hat) spielt Mozart eine große Rolle. Und in The Little Sister findet sich diese Unterhaltung zwischen einem Sergeant und Philip Marlowe:

"I play the piano a good deal," he said. "I have a seven-foot Steinway. Mozart and Bach mostly. I'm a bit old-fashioned. Most people find it dull stuff. I don't."
"Perfect casting," I said, and put a card somewhere.
"You'd be surprised how difficult some of that Mozart is," he said. "It sounds so simple when you hear it played well."
"Who can play it well?" I asked.
"Schnabel."
"Rubinstein?"
He shook his head. "Too heavy. Too emotional. Mozart is just music. No comment needed from the performer." 

Und wenn Sie noch mehr Musik wollen, dann lesen Sie James Mallahan Cains Serenade. Da merkt man auf jeder Seite, dass der Sohn einer Opernsängerin eigentlich selbst Sänger werden wollte. Und vielleicht sollte man anmerken, dass Chandlers Frau Cissy in erster Ehe mit einem Konzertpianisten verheiratet war (und selbst eine Pianistin war). Da liegt der Mozart nicht weit.

In The Death of the Self (hier ganz zu sehen) können Sie den Chief Inspector Morse auch als Begleiter der Sängerin Nicole Burgess im offenen Citroen zu einer Villa fahren sehen (ab Minute 39), die Palladios Rotonda sehr ähnlich ist. Hunderte von Stellen im Internet behaupten, dass es die Rotonda ist, aber sie ist es nicht. Wenn Sie den langen Post Palladio gelesen haben, dann wissen Sie natürlich, dass es die Villa Pisani von Vincenzo Scamozzi ist.

In The Death of the Self treffen wir auch jemanden wieder, den wir heute in einer ganz anderen Rolle kennen. Das hier ist Michael Kitchen, der Star der Serie Foyle's War. In der Folge ist er allerdings nicht wie Foyle eine Personifikation des Guten und aller englischen Werte, da ist er ein international operierender Betrüger.

Wenn man Morse fragt: What's your first name? antwortet er mit Inspector. Aber Adele Cecil lässt sich damit natürlich nicht abspeisen: Well, you could start by telling me your name. (Morse:) Everyone just calls me Morse. I do have a first name, of course, but I'd have to know you better. (Adele:) You won't know me better if you don't tell me. (Morse:) Right. My A whole life's effort has revolved around Eve. Nine letters. And that is the truth, the whole truth. Das ist nun etwas für Menschen, die Kreuzworträtsel, Anagramme und solche Dinge lieben. People who do crosswords have blanks in their lives and they haven't a clue how to fill them. Don't you think? wird Adele sagen.

Morse liebt Kreuzworträtsel. Als ihn sein Chef fragt: What's the matter? Brain not what it was? antwortet er My brain is fine, thank you. I did today's Times crossword in 11 minutes. Das hört der Superintendent Strange nicht so gerne: If you spent more time on your case, you would have something to tell me. Am Ende von Death Is Now My Neighbour sind Adele Cecil, Morse und Lewis in einem Pub. Das englische Pub ist das natürliche Habitat von Morse. Und in dieser Szene in der Kneipe (Bild) erfahren wir auch zum ersten Mal den Vornamen von Morse: Adele Cecil: This anagram, "around eve" — I've tried and I've tried, but all I can come up with is "Endeavour". And no-one's called Endeavour, surely? Morse: I told you — my mother was a Quaker, and Quakers sometimes call their children names like 'Hope', and 'Patience'. My father was obsessed with Captain Cook, and his ship was called Endeavour. Why aren't you both laughing? Lewis: You poor sod! Adele Cecil: I'm not calling you "Endeavour". Lewis: Call him "Sir". He likes that. Adele Cecil: Oh, no, no,— I'll stick to "Morse", like everyone else. Morse: [Raises his glass of beer.] Cheers.

Inzwischen gibt es als spin off der Serie Morse eine TV Serie, die Endeavour heißt, ein prequel, das die Erlebnisse des jungen Endeavour zeigt. So etwas musste ja kommen. Wenn sich der junge Police Constable Endeavour Morse hier an einen Jaguar lehnt, dann soll das noch nicht heißen, dass er schon damals einen besaß. Damals fuhr die Polizei noch schwarze Jaguars. In den Romanen von Colin Dexter, die der Serie zugrunde liegen, fuhr Morse einen alten Lancia. Aber den konnte man bei den Dreharbeiten angeblich nicht finden, den Jaguar kaufte man für 1.500 Pfund bei einem Schrotthändler.

Das Auto wurde berühmt wie die Serie, zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Senders ITV kam er sogar auf eine Briefmarke der englischen Post. In einer englischen Umfrage nach dem berühmtesten Auto der Filmgeschichte, schlug der weinrote Jaguar vor Jahren sogar das Auto aus Chitty Chitty Bang Bang und James Bonds Aston Martin.

Dieses Photo hat ein englischer Morse Fan 1999 in Kalifornien geschossen. Wir wissen natürlich, dass das Original das Kennzeichen 248 RPA besitzt, aber ein Autokennzeichen Morse ist natürlich auch nicht schlecht. Die Geschichte von Morses Automobil ist immer wieder erzählt worden, wenn man ihr einen Titel geben sollte, dann wäre Fitzgeralds The cruise of the rolling junk wohl angebracht. Für den Hauptdarsteller John Thaw war das Auto a beggar to drive, bei den Dreharbeiten war immer ein Mechaniker anwesend. Freunde der Firma Jaguar könnten jetzt noch den Post Des Königs Jaguar lesen.

Ich hatte in Inspector Lewis (dem spin off von Morse) versprochen, demnächst über Morse zu schreiben. Dies ist doch schon mal ein Anfang. Die dreiunddreißig Folgen von Morse (plus fünf Specials) mit John Thaw und Kevin Whately kosten etwas mehr als fünfzig Euro. Eine deutsche Tonspur gibt es leider nicht, aber es gibt englische Untertitel. Das ist auch eine schöne Gelegenheit, um Ihr Englisch zu schulen. Die Serie nach den Romanen von Colin Dexter war überall auf der Welt zu sehen. Nur in Deutschland nicht. Wahrscheinlich weil wir mit der deutschen Tatort Tristesse und Henning Mankell auskommen.